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Die Leopardin

Titel: Die Leopardin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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der Stadt floss ein stetiger Strom von Versorgungsgütern aus der Heimat der deutschen Besatzungsmacht nach Frankreich. Die Zerstörung des Tunnels hätte bedeutet, dass Rommel bald die Munition ausgehen würde.
    Mit seinen jeweils zur Hälfte mit Holz verkleideten, in hellen Farben gestrichenen Häusern wirkte das Städtchen selbst beinahe bayerisch. Das Rathaus stand auf einem mit dicht belaubten Bäumen gesäumten Platz direkt gegenüber dem Bahnhof. Der örtliche Gestapo-Chef hatte sich im großen, geräumigen Büro des Bürgermeisters einquartiert. Er, Major Franck und ein Hauptmann Bern, der für die Bewachung des Tunnels zuständig war, beugten sich über eine Landkarte und besprachen ihre Strategie.
    »Ich habe an beiden Tunneleinfahrten je einen Zug von zwanzig Mann postiert«, sagte Bern. »Ein dritter patrouilliert Tag und Nacht auf dem Berg. Wenn die Resistance unsere Bewachung knacken will, braucht sie eine starke Truppe.«
    Franck runzelte die Stirn. Beim Verhör dieser Lesbierin namens Diana Colefield war herausgekommen, dass sich die Clairet-Bande ursprünglich aus sechs Frauen zusammengesetzt hatte. Zwei waren ihm ins Netz gegangen, sodass sie inzwischen nur noch zu viert waren. Es ließ sich allerdings nicht ganz ausschließen, dass sie sich mittlerweile mit anderen Saboteuren zusammengetan oder Kontakt zu Partisanen in und um Maries aufgenommen hatten. »Die haben genug Leute«, sagte er. »Die Franzosen rechnen jetzt jeden Tag mit der Invasion.«
    »Aber eine große Truppe ist schwer zu verstecken. Bislang haben wir noch nichts Verdächtiges bemerkt.«
    Bern war klein und zierlich gebaut und trug eine Brille mit dicken Gläsern. Wahrscheinlich war er deshalb nicht bei der kämpfenden Truppe an der Front eingesetzt, sondern in diesem Nest in der Etappe stationiert. Nichtsdestoweniger beeindruckten Franck seine Intelligenz und Sachlichkeit; alles, was der junge Offizier sagte, hatte Hand und Fuß, und Franck war bereit, es ihm abzunehmen.
    »Wie anfällig ist der Tunnel für Detonationsschäden?«, fragte Franck.
    »Er führt durch soliden Fels. Sicher kann er zerstört werden – aber dazu brauchte man eine Lastwagenladung voller Dynamit.«
    »Dynamit hat die Resistance genug.«
    »Ja, aber sie muss es irgendwie herschaffen – und das, wie gesagt, ohne von uns dabei erwischt zu werden.«
    »Da haben Sie allerdings Recht.« Franck wandte sich an den Gestapo-Chef. »Liegen Ihnen irgendwelche Berichte über ungewöhnliche Fahrzeuge oder das Eintreffen ortsfremder Personengruppen in der Stadt vor?«
    »Nichts dergleichen. Es gibt hier nur ein einziges Hotel, und das hat derzeit keine Gäste. Um die Mittagszeit haben meine Männer – wie jeden Tag – die Bars und Restaurants inspiziert, aber es ist ihnen nichts Ungewöhnliches aufgefallen.«
    »Ist es denkbar, Herr Major«, warf Hauptmann Bern zögernd ein, »dass der Bericht, den Sie über einen geplanten Angriff auf den Tunnel erhalten haben, eine Art. Fälschung war? Eine falsche Fährte, sozusagen, die Sie vom eigentlichen Ziel ablenken soll?«
    Was fällt dem Kerl ein?, dachte Franck, gab aber insgeheim zu, dass er selbst diese Möglichkeit auch schon in Erwägung gezogen hatte – schließlich wusste er aus bitterer Erfahrung, dass die Leopardin eine Meisterin der Irreführung war. War es denkbar, dass sie ihn schon wieder ins Leere laufen ließ? Nein, diese Vorstellung war zu beschämend, um sich näher damit zu befassen. »Ich habe die Informantin persönlich verhört und bin sicher, dass sie die Wahrheit gesagt hat«, erwiderte er. Es kostete ihn Überwindung, seine Wut nicht durchklingen zu lassen. »Völlig auszuschließen ist Ihre Vermutung jedoch nicht, denn es kann ja auch sein, dass die Informantin selbst falsch informiert war, und zwar ganz bewusst, als Vorsichtsmaßnahme.«
    Bern hob den Kopf und sagte: »Ein Zug kommt.«
    Franck runzelte die Stirn. Er hörte keinen Zug.
    »Mein Gehör ist außergewöhnlich gut«, sagte der Hauptmann lächelnd. »Zweifellos als Ausgleich für meine schlechten Augen.«
    Nach Francks Recherchen war der Elf-Uhr-Zug der einzige, der an diesem Tag von Reims nach Maries ging. Also mussten Michel Clairet und Leutnant Hesse in diesem Zug sitzen. Der Gestapo-Chef trat ans Fenster. »Der hier kommt von Osten«, sagte er. »Sie sagten doch, Ihr Mann käme aus Reims, oder?«
    Franck nickte.
    »Ich höre gerade, es kommen zwei Züge«, sagte Hauptmann Bern, »einer aus jeder Richtung.«
    Der Gestapo-Chef wandte

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