Die Leopardin
gelangen. Schon war das schmiedeeiserne Tor am anderen Ende des Platzes zu sehen. Ruby und ihre beiden Häscher betraten gerade das Schlossgelände. Immerhin, dachte Flick, Ruby ist schon mal drin.
Flick fiel auf, dass das Fenster des Cafe des Sports, das bei der Schießerei in der Woche zuvor zu Bruch gegangen war, inzwischen mit Brettern vernagelt worden war. Zwei Wachsoldaten aus dem Schloss kamen im Laufschritt über den Platz. Sie trugen Gewehre, und ihre Stiefeltritte hallten auf dem Kopfsteinpflaster wider. Sie waren zweifellos zu dem verwundeten Milizionär unterwegs. Von den drei Putzfrauen, die zusahen, dass sie ihnen nicht in die Quere gerieten, nahmen sie keine Notiz.
Flick erreichte als Erste das Tor. Jetzt kam einer der kritischsten Augenblicke ihrer Mission.
Es war nur noch ein Wachtposten vorhanden, und der interessierte sich mehr für seine Kameraden, die über den Platz rannten, als für Flick. Er warf nur einen kurzen Blick auf ihren Passierschein und winkte sie durch. Hinter dem Tor, schon auf dem Schlossgelände, drehte Flick sich um und wartete auf die beiden anderen.
Bei Greta verhielt sich der Posten genauso wie zuvor bei Flick. Immer wieder schweifte sein Blick Richtung Rue du Chateau.
Flick dachte schon, sie hätten es geschafft, als sich der Wachtposten plötzlich für Jellys Korb interessierte. »Das riecht aber gut«, sagte er. »Was ist das denn?«
»Das ist die Wurst für mein Abendessen«, sagte Jelly. »Da ist Knoblauch drin.«
Der Posten winkte sie durch und spähte sofort wieder über den Platz.
Die drei Frauen gingen die kurze Zufahrt zum Portal hinauf, stiegen die Freitreppe hoch und betraten endlich das Schloss.
Major Dieter Franck verbrachte den ganzen Nachmittag damit, den Zug zu beschatten, in dem er Michel Clairet vermutete. An jedem verschlafenen Landbahnhof hielt er an und wartete, ob Clairet vielleicht ausstieg. Längst war er sicher, dass er nur seine Zeit verschwendete, denn es war ihm inzwischen klar, dass Clairet nur eine falsche Fährte gelegt hatte, aber ihm blieb keine Alternative. Michel Clairet war seine einzige Spur. Es war zum Verzweifeln.
Clairet stieg nirgends aus. Er fuhr die ganze Strecke nach Reims zurück.
Schließlich saß Franck im Wagen vor einem ausgebombten Gebäude in der Nähe des Reimser Bahnhofs und wartete noch immer auf Clairets Erscheinen. Eine düstere Vorahnung suchte ihn heim: Er spürte, dass ihm ein grauenhafter Fehlschlag bevorstand – und mit ihm eine furchtbare, blamable Schande.
Wo, wo, wo hab ich was falsch gemacht?, fragte er sich. Ich habe doch getan, was ich konnte – und doch ist alles schief gegangen. Was soll ich tun, wenn die Beschattung Clairets zu nichts führt? Irgendwann muss ich diese Aktion abblasen, damit der Schaden nicht noch größer wird. Und dann muss ich den Kerl in die Mangel nehmen. Aber wie viel Zeit bleibt mir noch?
In der kommenden Nacht war Vollmond, doch über dem Ärmelkanal herrschte stürmisches Wetter. Möglich, dass die Alliierten ihre geplante Invasion verschoben – möglich aber auch, dass sie das
Risiko auf sich nahmen. In ein paar Stunden konnte schon alles zu spät sein.
Am Vormittag war Clairet in einem Lieferwagen der Metzgerei Moulier zum Bahnhof gefahren. Da Franck den Wagen nirgends sehen konnte, nahm er an, dass er für Felicity Clairet stehen gelassen worden war. Mittlerweile konnte sie überall im Umkreis von hundertfünfzig Kilometern sein. Welch ein Fehler! Er hatte nicht daran gedacht, den Lieferwagen observieren zu lassen. Er ärgerte sich maßlos über das Versäumnis.
Um sich abzulenken, dachte er über die beste Verhörstrategie bei Clairet nach. Der Schwachpunkt des Mannes ist wahrscheinlich diese Gilberte Duval, dachte er. Momentan hockt sie in einer Zelle im Schloss und grübelt über ihr künftiges Schicksal nach. Daran wird sich auch nichts ändern, solange ich sie noch gebrauchen kann. Wenn ich mit ihr fertig bin, kann sie von mir aus exekutiert oder ins KZ geschickt werden. Die Frage ist nur: Wie schaffe ich es, Clairet so schnell wie möglich zum Reden zu bringen – und wie lässt sich diese Duval dazu verwenden?
Der Gedanke an die deutschen Konzentrationslager brachte ihn auf eine neue Idee. Er beugte sich vor und fragte seinen Fahrer: »Gestapo-Gefangene werden doch per Zug nach Deutschland verfrachtet, oder?«
»Jawohl, Herr Major.«
»Stimmt es, dass man sie in Viehwaggons transportiert?«
»In Viehwaggons, jawohl, Herr Major. Gut genug für diesen
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