Die Leopardin
auszuschließen, dass er Clairet im Laufe der Nacht doch noch verhören musste.
»Ich komme sofort nach Sainte-Cecile zurück«, teilte er Weber mit.
»Wie Sie wünschen«, sagte Weber in einem Tonfall, der besagte, dass er auch sehr gut ohne Francks Hilfe auskommen würde.
»Ich muss die neue Gefangene verhören.«
»Damit hab ich schon angefangen. Feldwebel Becker kocht sie gerade weich.«
»Herrgott nochmal! Sie muss bei Verstand sein und noch reden können, wenn ich komme!«
»Selbstverständlich.«
»Weber, ich bitte Sie, die Sache ist zu wichtig, als dass wir uns noch viele Fehler leisten könnten! Halten Sie Becker unter Kontrolle, bis ich da bin.«
»Gut, gut. Ich werde darauf achten, dass er nicht übertreibt.«
»Danke. Ich komme, so schnell ich kann.« Franck legte auf.
Im Eingang zur großen Halle des Schlosses blieb Flick stehen. Ihr Puls jagte, und in ihrer Brust nistete kalte Furcht. Ich bin mitten in der Höhle des Löwen, dachte sie. Wenn ich jetzt gefangen genommen werde, kann mich nichts und niemand mehr retten.
Rasch ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen. Die Schaltbretter für die Vermittlung von Ferngesprächen waren in präzise ausgerichteten Reihen installiert und wirkten unangemessen modern vor der verblassten Großartigkeit der rosa und grün gestrichenen Wände und der pummeligen Putten der Deckenmalerei. Kabel ringelten sich wie aufgerollte Schiffstaue in Bündeln über den schachbrettartigen Marmorboden.
Vierzig Telefonistinnen sorgten für lautes Stimmengewirr. Diejenigen, die dem Eingang am nächsten saßen, warfen den Neuankömmlingen neugierige Blicke zu. Flick sah, wie ein Mädchen mit ihrer Nachbarin sprach und dabei auf sie deutete. Die Frauen hier stammten alle aus Reims und Umgebung, nicht wenige sogar direkt aus Sainte-Cecile. Es war also anzunehmen, dass sie die regulären Putzfrauen kannten und merkten, dass die Dohlen Fremde waren. Aber Flick setzte jetzt alles auf eine Karte und hoffte, dass niemand sie an die Deutschen verraten würde.
Sie orientierte sich schnell, indem sie sich den von Antoinette gezeichneten Plan ins Gedächtnis rief. Der zerbombte Westflügel zur Linken wurde nicht mehr benutzt. Sie wandte sich nach rechts und führte Greta und Jelly durch eine hohe, getäfelte Flügeltür in den Osttrakt.
Ein Raum ging in den anderen über, alles prunkvolle Empfangszimmer voller Schalttafeln und Geräte, die summten und klickten, weil unentwegt irgendwelche Telefonnummern angewählt wurden. Flick hatte keine Ahnung, ob die regulären Putzfrauen die Vermittlungsdamen normalerweise grüßten oder schweigend an ihnen vorbeigingen. In Frankreich grüßte man gern und oft, doch hier herrschte die deutsche Wehrmacht. Also begnügte sich Flick damit, ein vages Lächeln aufzusetzen, und vermied jeden Blickkontakt.
Im dritten Raum saß eine Schichtleiterin in deutscher Uniform an einem Schreibtisch. Flick beachtete sie nicht, doch die Frau rief ihr hinterher: »Wo ist Antoinette?«
Ohne stehen zu bleiben, antwortete Flick: »Sie kommt gleich.« Sie hörte den angstvollen Tremor in ihrer Stimme und hoffte inständig, dass der Frau nichts aufgefallen war.
Die sah zur Uhr hinauf, die fünf Minuten nach sieben anzeigte, und sagte: »Sie sind spät dran.«
»Entschuldigen Sie, Madame, wir fangen sofort an.« Flick beeilte sich, in den nächsten Raum zu kommen. Sekundenlang lauschte sie mit klopfendem Herzen, rechnete schon mit einem wütenden Befehl, der sie zurückbeorderte, doch der Ruf blieb aus. Flick atmete erleichtert auf und ging weiter. Greta und Jelly folgten ihr auf den Fersen.
Am Ende des Ostflügels befand sich ein Treppenhaus. Eine Treppe führte nach oben in die Büros, die andere nach unten in den Keller. Ziel der Dohlen war der Keller, doch zuerst mussten sie noch einiges vorbereiten.
Sie wandten sich nach links und kamen in den Versorgungstrakt. Antoinettes Erklärungen folgend, fanden sie eine Kammer, in der die Putzutensilien aufbewahrt wurden: Mopps, Eimer, Besen und Mülleimer, außerdem die langen braunen Baumwollkittel, die die Putzfrauen während ihrer Dienstzeit zu tragen hatten. Flick schloss die Tür hinter ihnen.
»So weit, so gut«, sagte Jelly.
Greta sagte: »Ich sterbe vor Angst!« Sie war ganz blass und zitterte. »Ich glaube nicht, dass ich weitermachen kann.«
Flick lächelte sie beruhigend an. »Du schaffst das schon. Immer schön eins nach dem anderen. Verstaut den Sprengstoff jetzt in den Scheuereimern.«
Jelly
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