Die Leopardin
ihn umarme, selbst hier, in ihrer Wohnung? Sie ärgerte sich über sich selber.
Auch Gilberte wirkte im ersten Moment bestürzt – schließlich überraschte sie ihren Liebhaber in den Armen seiner Frau. Aber sie fing sich schnell wieder, und dann wirkten ihre Züge wie eingefroren, als ginge sie das alles gar nichts an.
Dr. Claude Bouler, ein gut aussehender junger Mann, betrat nach ihr das Zimmer. Ihm war offensichtlich nicht wohl in seiner Haut.
Flick begrüßte ihn mit Küsschen auf die Wangen. »Wir sind Ihnen sehr dankbar, dass Sie gekommen sind«, sagte sie.
Claude wandte sich an Michel: »Was machst du denn für Sachen, alter Junge?«
»Ich hab ‘ne Kugel im Hintern.« »Tja, dann hol ich die wohl am besten mal raus.« Seine Furcht war professioneller Nüchternheit gewichen. An Flick gewandt, sagte er: »Legen Sie ein paar Handtücher aufs Bett, die das Blut auffangen. Und dann ziehen Sie ihm die Hose aus und legen ihn auf den Bauch. Ich wasche mir inzwischen die Hände.«
Gilberte breitete alte Zeitschriften auf der Tagesdecke aus und darüber mehrere Handtücher. Flick half Michel auf und stützte ihn, während er ins Schlafzimmer humpelte. Als er sich aufs Bett legte, fragte sie sich unwillkürlich, wie oft er dort wohl schon gelegen hatte.
Claude führte ein Instrument aus Metall in die Wunde ein und tastete nach der Kugel. Michel brüllte vor Schmerzen auf.
»Tut mir echt leid, alter Freund«, sagte der Arzt mitfühlend.
Flick konnte sich einer gewissen Schadenfreude nicht erwehren: Da lag er nun und schrie vor Schmerzen – auf demselben Bett, auf dem er früher mit schlechtem Gewissen seine Lust herausgeschrien hatte. Hoffentlich wird er den heutigen Tag in Gilbertes Schlafzimmer nie vergessen, dachte sie.
»Nun mach schon, bringen wir ‘s hinter uns«, stöhnte Michel.
Flicks Rachsucht verflog so schnell, wie sie gekommen war. Er tat ihr einfach nur noch leid. Sie schob ihm ein Kissen zu und sagte: »Beiß da rein, das hilft!«
Michel stopfte sich das Kissen in den Mund.
Beim nächsten Versuch ortete Claude die Kugel und holte sie heraus. Blut strömte aus der Wunde. Nach kurzer Zeit ließ die Blutung jedoch nach, und Claude legte einen Verband an.
»Beweg dich ein paar Tage lang so wenig wie möglich«, riet er Michel – und dies bedeutete, dass er in Gilbertes Wohnung bleiben musste.
Aber bei so einer Verletzung kommt Sex vorerst nicht in Frage, dachte Flick mit grimmer Befriedigung.
»Danke, Claude«, sagte sie.
»Freut mich, dass ich euch helfen konnte.« »Ich habe noch eine Bitte.«
Der Arzt erschrak. »Um was geht’s?«
»Ich muss um Viertel vor zwölf heute Nacht ein Flugzeug erreichen. Ich brauche Sie. Sie müssen mich nach Chatelle fahren.«
»Wieso kann das Gilberte nicht machen? Sie hat mich doch auch mit dem Wagen abgeholt.«
»Wegen der Ausgangssperre. Sie sind Arzt, da wären wir sicher.«
» Wir ? Wer fährt denn noch alles mit?«
»Wir drei. Michel muss eine Lampe halten.«
Das Abholmanöver verlief immer nach dem gleichen Schema: Vier Resistance-Mitglieder stellten sich mit Taschenlampen in Form eines riesigen »L« auf und markierten damit die Windrichtung und den genauen Landeplatz. Die kleinen batteriebetriebenen Lampen mussten auf das Flugzeug gerichtet sein, damit der Pilot sie deutlich sah. Man konnte sie auch einfach an den geeigneten Stellen auf den Boden legen, doch war diese Methode riskanter. Entsprach das, was der Pilot sah, nicht seinen Erwartungen, so vermutete er vielleicht eine Falle und blies die Landung ab. Wenn irgend möglich arbeitete man daher mit vier Helfern.
»Und wie soll ich das der Polizei erklären?«, fragte Claude. »Ein Arzt in einem Notfalleinsatz hat keine drei Mitfahrer an Bord.«
»Wir denken uns dann schon was aus.«
»Das ist mir zu gefährlich.«
»Um diese Zeit in der Nacht dauert die Fahrt doch nur ein paar Minuten.«
»Meine Frau bringt mich um. Ich muss an die Kinder denken, wird sie sagen.«
»Sie haben doch gar keine.«
»Marie-Jeanne ist schwanger.«
Flick nickte. Das war also die Erklärung für Claudes Nervosität.
Michel drehte sich um, setzte sich auf und packte den Arzt am Arm. »Claude, ich bitte dich, es ist wirklich sehr wichtig. Tu mir den Gefallen, bitte.«
Michel eine Bitte abzuschlagen war nicht leicht. Claude Bouler seufzte und gab nach. »Wann also?«
Flick sah auf ihre Uhr. Es war fast elf. »Jetzt«, sagte sie.
Der Arzt warf einen Blick auf Michel. »Seine Wunde kann wieder
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