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Die Leopardin

Titel: Die Leopardin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Claude, rollte zu Flick zurück, drehte die Nase wieder in den Wind und blieb in Startposition stehen.
    Es handelte sich um eine Westland Lysander, einen kleinen, hochflügeligen Eindecker mit mattschwarzem Anstrich. Die Crew bestand aus einer einzigen Person. Die Maschine verfügte über zwei Passagiersitze. Allerdings hatte Flick auch schon erlebt, dass eine »Lizzie« vier Personen mitgenommen hatte – die dritte auf dem Boden liegend und die vierte auf der Gepäckablage.
    Der Pilot stellte den Motor nicht ab. Er hatte nicht die Absicht, länger als ein paar Sekunden auf dem Boden zu bleiben.
    Flick hätte Michel gerne umarmt und ihm alles Gute gewünscht – ihn aber auch am liebsten gleichzeitig geohrfeigt und ihm eingeschärft, dass er seine Pfoten von anderen Frauen zu lassen habe. Vielleicht war es daher ganz gut, dass ihnen keine Zeit mehr für eine Abschiedsszene blieb.
    Flick winkte ihm zum Abschied kurz zu, kletterte die Metallleiter hinauf, öffnete die Einstiegsluke, schwang sich an Bord und schloss die verglaste Kuppel über ihrem Kopf.
    Der Pilot sah sich nach ihr um, und Flick gab ihm das Zeichen mit dem Daumen. Mit einem Ruck schoss das kleine Flugzeug vorwärts, wurde schneller und schneller, hob ab und stieg steil in die Höhe.
    Unter sich sah Flick ein, zwei Lichter im Dorf brennen. Hier draußen auf dem Land nahmen es die Leute mit den Verdunkelungsvorschriften nicht allzu genau. Als Flick am Morgen eingeflogen war – um vier Uhr morgens, also schon gefährlich spät –, hatte sie aus der Luft bereits die rote Glut des Bäckerofens gesehen, und auf der Fahrt war ihr der Duft nach frischem Brot in die Nase gestiegen, Frankreichs Markenzeichen.
    Das Flugzeug legte sich in eine Kurve und drehte um. Flick sah die vom Mondlicht erhellten Gesichter von Michel, Gilberte und Claude als drei weißliche Flecken vor dem schwarzen Hintergrund der Weide. Als die Maschine wieder geradeaus flog und Kurs auf England nahm, wurde ihr mit bestürzender Klarheit bewusst, dass sie die drei vielleicht nie wieder sehen würde.

+ + + zweiter tag + + +
    montag, 29. mai 1944
    In seinem großen Hispano-Suiza fuhr Major Dieter Franck durch die Nacht, begleitet von seinem jungen Adjutanten, Leutnant Hans Hesse. Der Wagen war schon zehn Jahre alt, aber der schwere Elf-Liter-Motor lief und lief. Am Abend zuvor hatte Franck eine gerade Reihe von Einschusslöchern im elegant geschwungenen Schutzblech auf der Beifahrerseite entdeckt – eine kleine Erinnerung an das Scharmützel auf dem Stadtplatz von Sainte-Cecile. Das war jedoch der einzige Schaden geblieben, und die Löcher schmückten das stattliche Gefährt gewissermaßen noch zusätzlich, wie Duellnarben die Wange eines preußischen Offiziers.
    Für die Fahrt durch die verdunkelten Straßen von Paris hatte Leutnant Hesse die Scheinwerfer zunächst abgedeckt, die Blenden dann aber auf der Landstraße, die in die Normandie führte, wieder abgenommen. Nach jeweils zwei Stunden lösten sich die beiden Männer am Steuer ab, obwohl Hesse, der in das Auto vernarrt war und dessen Besitzer wie einen Helden verehrte, am liebsten die ganze Strecke alleine gefahren wäre.
    Im Beifahrersitz, todmüde und von der Landstraße, die sich vor ihm im Scheinwerferlicht aufrollte, wie hypnotisiert, dachte Dieter Franck über seine Zukunft nach. Ob es den Alliierten gelingen würde, Frankreich zurückzuerobern und die Besatzer aus dem Land zu treiben? War es möglich, dass Deutschland den Krieg verlor? Allein die Vorstellung war entsetzlich, vielleicht gab es dann eine Art Friedensvertrag, und Deutschland gab Frankreich und Polen auf, durfte aber Österreich und die Tschechoslowakei behalten. Unter dem Strich war das allerdings auch nicht viel besser. Es fiel ihm schwer, sich nach dem aufregenden Leben und der sinnlichen Schwelgerei in Paris und bei Stephanie eine Rückkehr ins Kölner Alltagsleben vorzustellen, eine Rückkehr zu seiner Frau und seiner Familie. Für Franck und für Deutschland war nur ein einziger glücklicher Kriegsausgang denkbar, und der sah so aus: Rommels Armee musste die Invasoren ins Meer zurücktreiben.
    Noch bevor der feuchtkalte Morgen heraufdämmerte, rollte der Wagen in das kleine mittelalterliche Dorf La Roche-Guyon ein, das zwischen Paris und Rouen an der Seine lag. Hesse hielt an der Straßensperre am Ortsrand, doch da man sie bereits erwartete, wurden sie sofort durch gewunken. Sie fuhren an stillen Häusern mit geschlossenen Fensterläden vorbei, passierten

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