Die Leopardin
an den Toren zum alten Schloss einen weiteren Kontrollpunkt und erreichten endlich den großen gepflasterten Hof und parkten dort. Franck ließ Hesse beim Wagen und begab sich selbst in das Gebäude.
Der Kommandant der deutschen Heeresgruppe West war Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt, ein zuverlässiger General aus der alten Offiziersklasse. Ihm untergeben und mit der Verteidigung der französischen Küste beauftragt war Generalfeldmarschall Erwin Rommel. Das Schloss von La Roche-Guyon war Rommels Hauptquartier.
Dieter Franck fühlte sich Rommel so etwas wie seelenverwandt. Sie waren beide Söhne von Lehrern – Rommels Vater war Rektor gewesen –, und sie hatten daher beide den eisigen Atem des militärischen Snobismus kennen gelernt, mit dem Leute wie von Rundstedt ihresgleichen gegenübertraten. Davon abgesehen waren sie jedoch grundverschieden. Franck war ein Genussmensch und daher allen kulturellen und sinnlichen Vergnügungen zugetan, die Frankreich zu bieten hatte – Rommel dagegen ein besessener Arbeiter, der weder trank noch rauchte und das Essen manchmal einfach vergaß. Er hatte die einzige Freundin, die er je hatte, prompt geheiratet und schrieb ihr dreimal täglich einen Brief.
In der Eingangshalle traf Franck auf Rommels Adjutant, Major Walter Goedel, einen kalten Typen mit einem formidablen Gehirn, den Franck respektierte, aber beim besten Willen nicht sympathisch finden konnte. Am späten Abend des vergangenen Tages hatten sie miteinander telefoniert. Franck hatte ihm sein Problem mit der Gestapo kurz geschildert und den Wunsch geäußert, so bald wie möglich mit Rommel sprechen zu können. »Dann seien Sie morgen früh um vier hier«, hatte Goedel erwidert. Rommel saß jeden Tag schon um vier Uhr morgens an seinem Schreibtisch.
Inzwischen waren Franck Zweifel gekommen, ob er sich richtig verhalten hatte. Schließlich war es durchaus denkbar, dass Rommel ihn zurechtwies: »Was unterstehen Sie sich, mich mit solchen Trivialitäten zu behelligen?« Allerdings rechnete Franck nicht mit einer solchen Reaktion. Normalerweise genossen militärische Befehlshaber das Gefühl, über alle Einzelheiten informiert zu sein. Er war daher überzeugt, dass Rommel ihm die erbetene Unterstützung gewähren würde – nur: Hundertprozentige Sicherheit gab es nie, vor allem dann nicht, wenn der Befehlshaber unter starker Belastung stand.
Goedel begrüßte ihn mit einem knappen Nicken und sagte: »Er will Sie sofort sehen. Kommen Sie mit.«
Auf dem Weg durch den Flur fragte Franck: »Was hören Sie aus Italien?«
»Nichts als schlechte Nachrichten«, sagte Goedel. »Wir ziehen uns aus Arce zurück.«
Franck nickte resigniert. Die deutschen Soldaten kämpften wie die Löwen, und doch waren sie nicht imstande, den nach Norden vorrückenden Feind aufzuhalten. Es war deprimierend.
Kurz darauf betrat Dieter Franck Rommels Büro, einen großen Raum im Erdgeschoss. Ein unschätzbar wertvoller Gobelin aus dem 17. Jahrhundert hing an der Wand und erregte seine neidvolle Bewunderung. Von ein paar Stühlen und einem riesigen Schreibtisch abgesehen – eine Antiquität, die Franck für ebenso alt hielt wie den Gobelin –, war das Zimmer nur spärlich möbliert. Auf dem Schreibtisch stand eine einzige Lampe, und dahinter saß ein kleiner Mann mit schütterem, sandfarbenem Haar.
»Major Franck ist hier, Herr Generalfeldmarschall«, sagte Goedel.
Franck wartete voller Nervosität. Rommel setzte seine Lektüre noch eine Weile fort und schrieb dann eine Anmerkung auf den vor ihm liegenden Bogen Papier. Er erinnerte an einen Bankbeamten, der gerade den Kontostand eines seiner besseren Kunden prüft. Doch das änderte sich in dem Moment, als er aufblickte. Obwohl Franck das Gesicht kannte, beschlich ihn jedes Mal, wenn er es sah, ein Gefühl der Bedrohung. Es war ein Boxergesicht mit flacher Nase, breitem Kinn und dicht stehenden Augen, geprägt von jener Mischung aus Berechnung und Angriffslust, der Rommel seinen legendären Ruf als Befehlshaber verdankte. Franck erinnerte sich an die Geschichte von Rommels erstem militärischen Einsatz während des Ersten Weltkriegs. Als Anführer eines dreiköpfigen Vorauskommandos war er auf eine Gruppe von zwanzig französischen Soldaten gestoßen. Anstatt den Befehl zum Rückzug zu geben und Verstärkung zu holen, hatte Rommel das Feuer eröffnet und sich auf den Feind gestürzt. Franck kam dabei unwillkürlich ein Wort Napoleons in den Sinn: »Schickt mir Generäle mit Fortune.«
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