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Die Leopardin

Titel: Die Leopardin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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ließ sich ein Kommandotrupp einschleusen, der als zivile Angestellte getarnt war? Nein, als Telefonistinnen konnten sie sich nicht ausgeben; das war ein Beruf, der Fachkenntnisse verlangte und eine entsprechende, zeitraubende Ausbildung voraussetzte. Mit einem Besen dagegen konnte jeder umgehen.
    Ob es den Deutschen auffallen würde, wenn sich die Reinigungskolonne plötzlich aus lauter Fremden zusammensetzte? Wahrscheinlich schenkten sie den Frauen, die den Boden schrubbten, keine größere Beachtung. Die andere Frage war, wie sich die französischen Telefonistinnen verhalten würden. Würden sie den Trupp auffliegen lassen? Das war ein Risiko – aber vielleicht eines, das man eingehen konnte.
    Die SOE verfügte über eine beachtliche Fälscherwerkstatt, die imstande war, innerhalb von wenigen Tagen Dokumente aller Art nachzumachen, wobei manchmal sogar eigens bestimmtes Papier hergestellt wurde, um Originaltreue zu gewährleisten. Mit Antoinettes Passierschein als Vorlage ließen sich entsprechende Dubletten rasch herstellen.
    Beim Gedanken an den Diebstahl meldete sich Flicks Gewissen. Gut möglich, dass Antoinette in diesem Augenblick hektisch nach dem Dokument suchte – unter dem Sofa, in sämtlichen Taschen, ja vielleicht lief sie sogar hinaus in den Garten und suchte ihn mit der Taschenlampe ab. Wenn sie der Gestapo den Verlust meldete, würde man ihr zwar zuerst die Hölle heiß machen – am Ende aber doch wohl ein Ersatzdokument ausstellen. Da sie nichts von dem Diebstahl wusste, geriet sie auch nicht in die Gefahr, als Helferin der Resistance entlarvt zu werden. Im Verhör konnte sie standhaft bei der Behauptung bleiben, den Passierschein verloren zu haben – schließlich glaubte sie es ja selbst. Und ganz abgesehen davon, dachte Flick mit finsterer Entschlossenheit, wenn ich Antoinette gebeten hätte, mir das Ding zu leihen, hätte sie vermutlich nein gesagt.
    Der Plan hatte allerdings einen großen Haken. Die Reinigungskolonne bestand ausschließlich aus Frauen. Der als Putzfrauen getarnte Kommandotrupp müsste also ein reines Damenteam sein.
    Aber warum eigentlich nicht?, dachte Flick.
    Sie erreichten die Außenbezirke von Reims. Als Gilberte den Wagen vor einem flachen Fabrikgebäude, das von einem hohen Maschendrahtzaun umgeben war, zum Stehen brachte, war es bereits dunkel. Sie stellte den Motor ab.
    Flick drehte sich um und sprach Michel mit lauter Stimme an: »Wach auf! Wir müssen dich reinbringen.« Er stöhnte. »Und zwar möglichst schnell«, fügte Flick hinzu. »Es herrscht bereits Ausgangssperre.«
    Die beiden Frauen holten Michel aus dem Wagen. Gilberte deutete auf einen schmalen Durchgang, der zur Rückseite der Fabrik führte. Michel legte ihnen die Arme um die Schultern und ließ sich von ihnen mitschleppen. Gilberte öffnete eine Tür, die in den Hof eines kleinen Wohnblocks führte. Durch den Hintereingang traten sie ein. Es war ein billiges Mietshaus ohne Aufzug. Gilbertes Wohnung befand sich zu allem Unglück im Dachgeschoss. Flick zeigte ihr, wie sie Michel hinauftragen konnten: Sie kreuzten die Arme unter seinen Oberschenkeln und nahmen sich an den Händen; auf diese Weise ließ sich sein Gewicht tragen. Michel legte ihnen wieder die
    Arme um die Schultern, damit er nicht die Balance verlor, und so schafften sie es, ihn die vier Treppen hochzuschleppen. Glücklicherweise begegnete ihnen unterwegs niemand.
    Bis sie Gilbertes Wohnungstür erreichten, gerieten sie heftig ins Schnaufen. Sie stellten Michel auf die Beine, und er schaffte es, hineinzuhumpeln und sich in einen Sessel fallen zu lassen.
    Flick sah sich um. Es war eine typische Jungmädchenwohnung, hübsch, ordentlich und sauber. Vor allem aber: Es gab keine höheren Häuser in der Nachbarschaft. Das war der Vorteil der Dachgeschosswohnung: Niemand konnte von außen hineinschauen. So, wie es aussah, war Michel hier sicher.
    Gilberte umschwirrte ihn, brachte Kissen, um es ihm bequem zu machen, wischte ihm mit einem Handtuch vorsichtig das Gesicht ab, bot ihm Aspirintabletten an. Sie war zärtlich, aber unpraktisch, genau wie Antoinette. So wirkte Michel auf Frauen – nur eben nicht auf sie, Flick, und nicht zuletzt deshalb war er auf sie verfallen: Er konnte der Herausforderung nicht widerstehen.
    »Du brauchst einen Arzt«, sagte sie brüsk. »Wie wär’s mit Claude Bouler? Er hat uns immer geholfen – nur das letzte Mal, als ich ihn ansprach, gab er vor, mich nicht zu kennen. Ich dachte schon, er wolle vor mir

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