Die Leopardin
und sah ein hübsches Mädchen in einer amerikanischen Leutnantsuniform aus dem Wagen steigen und Paul Chancellor um den Hals fliegen. Sie registrierte sein strahlendes Lächeln und die Kraft, mit der er die junge Frau in die Arme schloss. Es handelte sich offenbar um seine Frau, seine Braut oder seine Freundin, die ihn mit einem unangemeldeten Besuch in London überraschte. Höchstwahrscheinlich gehörte sie zu den US-Truppen, die in England die Invasion vorbereiteten. Paul stieg zu ihr in den Wagen.
Als Flick Orchard Court betrat, war sie ein wenig traurig. Paul hatte eine Freundin; die beiden waren total verknallt ineinander, und man hatte ihnen sogar ein überraschendes Treffen außer der Reihe ermöglicht. Flick wünschte, Michel könnte ebenso plötzlich auftauchen, genau wie dieses Mädchen. Aber Michel lag verwundet auf einem Sofa in Reims und ließ sich von einer schamlosen neunzehnjährigen Schönheit verhätscheln.
Percy Thwaite war bereits aus Hendon zurück. Als Flick eintrat, goss er sich gerade einen Tee auf. »Na, wie war dein Air-Force-Mädchen?«, fragte sie.
»Lady Denise Bouverie bitte – sie ist schon auf dem Weg ins Mädchenpensionat«, erwiderte Percy.
»Prima! Dann haben wir jetzt schon vier!«
»Ja, aber ich fühle mich nicht ganz wohl dabei. Die Lady ist eine Angeberin. Sie hat mir weiß Gott was über ihre Arbeit bei der Royal Air Force erzählt – lauter Einzelheiten, über die sie eigentlich nichts sagen darf. Du musst dir bei der Ausbildung selbst ein Bild von ihr machen.«
»Von Fernmeldezentralen hat sie vermutlich keine Ahnung?«
»Nicht die geringste. Auch von Sprengstoffen nicht. – Tee?«
»Ja, bitte.«
Er reichte ihr eine Tasse und nahm hinter seinem billigen alten Schreibtisch Platz. »Wo ist Chancellor?«
»Unterwegs. Er sucht einen Staatsanwalt, damit er Ruby Rowland heute Abend aus dem Gefängnis holen kann.«
Thwaite sah sie fragend an. »Magst du ihn?«
»Jedenfalls ist er mir jetzt sympathischer als am Anfang.«
»Mir auch.«
Flick lächelte. »Er hat dieser alten Schreckschraube, die das Gefängnis leitet, unglaublich Honig ums Maul geschmiert.«
»Und Ruby Rowland? Was ist das für eine?«
»Sie hat einer Mitgefangenen bei einem Streit um ein Stück Seife den Hals aufgeschlitzt.«
»Herr im Himmel!« Percy schüttelte ungläubig den Kopf. »Was für eine teuflische Bande stellen wir da zusammen, Flick?«
»Eine gefährliche. Und gefährlich soll sie ja auch sein. Das ist nicht das eigentliche Problem. Abgesehen davon – so, wie die Dinge laufen, können wir uns vielleicht sogar den Luxus leisten, die Schwächste oder die beiden Schwächsten nach der Ausbildung wieder nach Hause zu schicken. Was mir viel mehr Kopfzerbrechen bereitet, ist die Tatsache, dass wir bisher noch nicht die Expertinnen gefunden haben, die wir brauchen. Was nützt es uns schon, wenn wir ein Team aus lauter knallharten Mädchen nach Frankreich einschleusen und sie nachher die falschen Kabel zerstören?«
Percy trank seinen Tee aus und begann, sich eine Pfeife zu stopfen. »Ich kenne eine Sprengstoffexpertin, die Französisch spricht«, sagte er.
Damit hatte Flick nicht gerechnet. »Das ist ja toll! Warum hast du das nicht schon viel früher erzählt?«
»Weil sie alles andere als eine Idealbesetzung ist und ich den Gedanken an sie, als er mir zum ersten Mal kam, sofort wieder verworfen habe. Aber da war mir einfach noch nicht klar, unter welchen enormen Druck wir geraten würden.«
»Was spricht denn gegen sie?«
»Sie ist so um die vierzig. Die SOE setzt Leute dieses Alters normalerweise nicht mehr ein, schon gar nicht als Fallschirmspringer.« Er entzündete ein Streichholz.
Für Flick war Alter allein kein Hinderungsgrund. »Und meinst du, sie macht mit?«, fragte sie aufgeregt.
»Ich kann’s mir durchaus vorstellen – vor allem, wenn ich sie darum bitte.«
»Du bist mit ihr befreundet?«
Er nickte.
»Wie ist sie Sprengstoffexpertin geworden?«
Percy wirkte plötzlich verlegen. Das brennende Streichholz zwischen den Fingern, sagte er: »Sie ist eine Geldschrankknackerin. Wir kennen uns seit vielen Jahren, noch aus den Zeiten, als ich im East End politisch aktiv war.« Das Streichholz war inzwischen heruntergebrannt, und er zündete ein zweites an.
»Du hast ja eine wilde Vergangenheit, Percy, davon wusste ich noch gar nichts. Wo ist die Frau denn jetzt?«
Thwaite sah auf seine Uhr. »Es ist gerade sechs. Um diese Zeit ist sie immer in der Private Bar der
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