Die Lerche fliegt im Morgengrauen
Sie einen guten Flug.«
Als er in den Kopierraum zurückkehrte, war Alice Johnson noch immer dort. »Hören Sie, Alice«, meinte er zu ihr, »würde es Ihnen etwas ausmachen, noch für einen kurzen Moment die Stellung zu halten? Mir ist gerade eingefallen, daß ich noch etwas Wichtiges erledigen muß. Ich revanchiere mich irgendwann.«
»Ist schon gut«, sagte die Frau. »Gehen Sie nur.«
Er zog seinen Mantel an, eilte hinunter in die Kantine und begab sich in eine der öffentlichen Telefonzellen. Tania Nowi kowa war nur deshalb noch in ihrer Wohnung, weil sie am vorhergehenden Abend erst sehr spät die Botschaft verlassen hatte. »Ich habe dir gesagt, du sollst mich hier nicht anrufen. Ich rufe dich an«, sagte sie ungehalten.
»Ich muß dich sehen. Ich habe um ein Uhr Feierabend.«
»Unmöglich.«
»Ich habe wieder einen Bericht gesehen. Zur gleichen Ange
legenheit.«
»Ich verstehe. Hast du eine Kopie?«
»Nein, das ging nicht, aber ich habe ihn gelesen.«
»Und was stand drin?«
»Das erzähle ich dir heute mittag.«
Sie begriff in diesem Moment, daß sie eine etwas schärfere Gangart wählen mußte. Ihre Stimme war kalt und hart, als sie meinte: »Vergeude nicht meine Zeit, Gordon, ich habe zu tun. Ich denke, wir sollten das Gespräch jetzt beenden. Ich rufe dich irgendwann an, wenn mir danach ist.«
Er geriet augenblicklich in Panik. »Nein, ich sag’s dir ja. Viel war es nicht. Nur daß zwei französische Kriminelle, die darin verwickelt waren, ermordet wurden. Sie tippten auf Dillon als Täter. Ach ja, und Brigadier Ferguson und Captain Tanner fliegen heute mittag mit dem Learjet nach Paris.«
»Warum?«
»Sie hoffen, daß sie diesen Martin Brosnan überreden kön
nen, ihnen zu helfen.«
»Gut«, sagte sie. »Das hast du ordentlich gemacht, Gordon. Ich komme heute abend zu dir in die Wohnung. Um sechs Uhr, und bring deinen Dienstplan für die nächsten zwei Wochen mit.« Sie legte auf.
Brown ging nach oben und schwebte wie auf Wolken.
Ferguson und Mary Tanner hatten einen einwandfreien Flug und landeten um kurz nach eins auf dem Flughafen Charles de Gaulle. Um zwei Uhr wurden sie in Hernus Büro in der DGSEZentrale auf dem Boulevard Mortier gebracht.
Er umarmte Ferguson. »Charles, du alter Ganove, du läßt dich viel zu selten blicken.«
»Jetzt komm mir nur nicht mit deinen französischen Abartig keiten«, sagte Ferguson. »Als nächstes drückst du mir noch einen Kuß auf beide Wangen. Mary Tanner, meine Assisten tin.«
Sie trug einen recht hübschen dunkelbraunen Hosenanzug von Armani und elegante Halbstiefel von Manolo Blahnik. Brillantohrringe und eine zierliche Rolex vervollständigten das Bild. Für eine junge Frau, die nicht als ausgesprochen schön galt, sah sie umwerfend aus. Hernu, der Klasse auf den ersten Blick erkannte, begrüßte sie mit einem vollendeten Handkuß. »Captain Tanner, Ihr Ruf eilt Ihnen voraus.«
»Hoffentlich hört man von mir nur Gutes«, erwiderte sie in fließendem Französisch.
»Gut«, sagte Ferguson, »nachdem wir das alles hinter uns haben, können wir jetzt zur Sache kommen. Was ist mit Bros nan?«
»Ich habe heute morgen mit ihm gesprochen, und er hat sich einverstanden erklärt, uns um drei in seiner Wohnung zu empfangen. Uns bleibt noch Zeit für ein kleines Mittagessen. Wir haben hier eine hervorragende Kantine. Alle gehen dort hin, vom Direktor abwärts.« Hernu öffnete die Tür. »Folgt mir. Es ist vielleicht nicht gerade das beste Essen in Paris, aber es ist ganz gewiß das billigste.«
In der Kabine seines Hausbootes füllte Dillon ein Glas mit Krug-Champagner und studierte eine Karte von London. Um ihn herum, an die Wände geheftet, befanden sich Artikel und Berichte aus Zeitungen, die sich speziell mit den Angelegen heiten in Nummer 10, mit dem Golfkrieg und damit befaßten, wie gut John Major sein schwieriges Amt versah. Da waren eine ganze Reihe Fotos vom jüngsten Premierminister des Jahrhunderts. Tatsächlich schienen seine Blicke Dillon überall hin zu folgen. Es war so, als beobachtete Major ihn.
»Und ich habe dich genau im Auge, Freundchen«, sagte Dillon leise.
Was ihn am meisten interessierte, waren die ständigen tägli chen Zusammenkünfte des Kriegskabinetts in Nummer zehn. All diese Schweine, alle zusammen an einem Ort. Was für ein Ziel! So wie in Brighton damals, und dabei wäre beinahe die gesamte englische Regierung ausgelöscht worden. Aber Num mer zehn als Ziel? Das erschien unmöglich.
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