Die Lerche fliegt im Morgengrauen
etwas angeht.«
Tanias Gewährsmann hatte recht gehabt. Sie sah wirklich etwas bäuerlich aus. Breite Wangenknochen, eine leicht nach oben gerichtete Nase und eine gewisse Ungehobeltheit im Auftreten. »Würden Sie wirklich mit diesem Ding schießen?«
»Wenn ich müßte.«
»Das ist aber schade, da ich eigentlich nur den Cousin meines Vaters besuchen will. Ich glaube, er heißt Danny Fahy.«
Sie runzelte die Stirn. »Und wer zum Teufel sind Sie, Mi
ster?«
»Mein Name lautet Dillon. Sean Dillon.«
Sie lachte rauh. »Das ist eine verdammte Lüge. Sie sind noch nicht mal Ire, und außerdem ist Sean Dillon tot, das weiß jeder.«
Dillon verfiel in den harten, eigentümlichen Akzent von Belfast. »Ich will niemanden zum Lügner stempeln, liebes Kind, aber wenn man die Meldung von meinem Tod verbreitet hat, dann war das ziemlich übertrieben.«
Sie ließ den Doppellauf ihres Gewehrs sinken. »Heilige Mut tergottes, Sie sind Sean Dillon?«
»Seit eh und je. Die äußere Erscheinung kann schon mal täuschen.«
»O mein Gott«, sagte sie. »Onkel Danny erzählt immer wie der von Ihnen, aber es waren immer Geschichten, die so klangen, als wären sie nicht wahr, und jetzt sind Sie hier.«
»Wo ist er denn?«
»Er hat einen Wagen für den Wirt vom Dorfpub repariert und ist damit vor einer Stunde runtergefahren. Er sagte, daß er zu Fuß zurückkommen will, aber wenn er da bleibt und etwas trinkt, wundert mich das nicht.«
»Um diese Zeit? Ist das Pub denn nicht bis abends geschlos sen?«
»So lautet vielleicht das Gesetz, Mr. Dillon, aber in Doxley kümmert sich keiner drum. Dort ist niemals geschlossen.«
»Dann lassen Sie uns hinfahren und ihn abholen.«
Sie ließ das Gewehr auf einer Bank liegen und setzte sich neben ihn in den Mini. Während er die Farm hinter sich ließ, sagte er: »Und was können Sie von sich erzählen?«
»Ich bin auf einer Farm in Galway aufgewachsen. Mein Dad war Dannys Neffe, Michael. Er starb vor sechs Jahren, als ich vierzehn war. Nach einem Jahr hat meine Mutter wieder geheiratet.«
»Lassen Sie mich raten«, sagte Dillon. »Sie konnten Ihren Stiefvater nicht leiden und er Sie auch nicht?«
»So in etwa. Onkel Danny kam zum Begräbnis meines Va ters herüber. Dabei lernte ich ihn kennen, und er gefiel mir. Als es mir zu ungemütlich wurde, ging ich von zu Hause weg und kam hierher. Er war ganz prima. Er schrieb meiner Mutter, und sie war einverstanden, daß ich hierblieb. Sie war sicher froh, mich loszusein.«
Aus ihren Worten klang nicht das geringste Selbstmitleid, und Dillon empfand auf Anhieb Sympathie für sie. »Es heißt nicht umsonst, daß alles Schlechte sein Gutes hat.«
»Ich hab’ darüber nachgedacht«, sagte sie. »Wenn Sie Dan nys zweiter Cousin sind und ich seine Großnichte bin, dann sind wir beide sogar blutsverwandt, oder stimmt das nicht?«
Dillon lachte. »Wenn Sie es so ausdrücken wollen.«
Sie strahlte begeistert übers ganze Gesicht, als sie den Kopf
in den Nacken legte und zum Himmel blickte. »Ich, Angel Fahy, verwandt mit dem berühmtesten Untergrundkämpfer, den die IRA je hatte.«
»Na, da dürfte es einige geben, die anderer Meinung sind«, sagte er, als sie das Dorf erreichten und vor dem Pub anhielten.
Es war eine kleine, triste Ansiedlung mit nicht mehr als fünf
zehn ziemlich heruntergekommenen Hütten und einer norman nischen Kirche mit einem Glockenturm und einem unkrautüberwucherten Friedhof daneben. Das Pub hatte den Namen Green Man, und sogar Dillon mußte den Kopf beim Eintreten einziehen. Die Decke war ziemlich niedrig und mit Balken verstärkt. Der Fußboden bestand aus schweren Stein platten, vom jahrzehntelangen Gebrauch abgewetzt, und die Wände waren gekalkt. Der Mann, der hemdsärmelig hinter der Theke stand, war mindestes achtzig Jahre alt.
Angel erkundigte sich: »Ist er da, Mr. Dalton?«
»Am Kamin und trinkt ein Bier«, erwiderte der alte Mann.
Ein Feuer brannte in einem breiten Steinkamin, und eine Holzbank und ein Tisch standen davor. Danny Fahy saß dort und las in der Zeitung. Ein Glas stand vor ihm. Er war fünfund sechzig, hatte einen unordentlichen, zerzausten Bart und trug eine Leinenmütze und einen alten Anzug aus Harris-Tweed.
Angel sagte: »Ich habe jemanden mitgebracht, der dich spre
chen will, Onkel Danny.«
Er sah zu ihr hoch und dann zu Dillon. Sein Gesicht spiegelte völlige Ratlosigkeit wider. »Und was kann ich für Sie tun, Sir?«
Dillon nahm seine Brille ab. »Gott
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