Die Lerche fliegt im Morgengrauen
sie. Er hatte den Kragen seines Mantels hochgeschlagen und die Hände in den Taschen vergraben. Es begann schon wieder leicht zu schneien, als die Hecktüren des Krankenwagens geöffnet wurden. Er beobachte te, wie zwei mit Laken bedeckte Tragbahren eingeladen wur den. Der Krankenwagen fuhr ohne Sirenengeheul davon. Ferguson blieb noch einen Moment auf der Straße stehen und wechselte einige Worte mit Lane und Mackie. Dillon erkannte den Brigadier auf Anhieb, da er vor einigen Jahren sein Foto gesehen hatte. Lane und Mackie waren offenbar Polizisten.
Nach einer Weile stieg Ferguson in seinen Wagen und ver
ließ den Ort des Geschehens. Mackie kehrte in die Wohnung zurück, und Lane fuhr ebenfalls weg. Die Strategie war klar. Mackie sollte noch in der Wohnung bleiben und warten, falls jemand dort erschien. Eines war jedenfalls sicher. Tania Nowi kowa war tot, und der Freund ebenso, und Dillon wußte, daß er dank ihres Opfers in Sicherheit war.
Er kehrte ins Hotel zurück und rief Makeev in seiner Woh nung in Paris an. »Ich habe schlechte Nachrichten, Josef.«
»Tania?«
»Woher wissen Sie?«
»Sie rief mich an. Was ist passiert?«
»Ihr Maulwurf ist aufgeflogen. Sie hat Selbstmord begangen, Josef, anstatt sich erwischen zu lassen. Eine entschlossene und
konsequente Dame.«
»Und der Maulwurf? Ihr Freund?«
»Tat das gleiche. Ich habe gerade gesehen, wie die Leichen in einen Krankenwagen geschoben wurden. Ferguson war auch zur Stelle.«
»Hat dies Einfluß auf Ihre Pläne?«
»Nicht im geringsten. Sie haben keinerlei Anhaltspunkte. Ich fliege morgen früh nach Belfast, um ihre einzige Möglichkeit zu beseitigen, meine Spur aufzunehmen.«
»Und dann?«
»Dann werde ich Sie, Josef, und Ihren arabischen Freund überraschen. Was halten Sie vom gesamten englischen Kriegs kabinett?«
»Du lieber Himmel, das kann doch nicht Ihr Ernst sein!«
»Doch, das ist es. Ich werde Ihnen schon sehr bald Vollzug melden.«
Er legte den Hörer auf, schlüpfte in sein Jackett und ging hinunter in die Bar. Dabei pfiff er die Melodie eines alten irischen Volksliedes vor sich hin.
Ferguson saß in einer Nische im Speisesaal des Pub gegenüber Kensington Park Gardens und der sowjetischen Botschaft. Er wartete auf Oberst Yuri Gatow. Als der Russe erschien, wirkte er erregt. Er war ein hochgewachsener, weißhaariger Mann in einem Kamelhaarmantel. Er entdeckte Ferguson und kam schnell zu ihm.
»Charles, ich kann es nicht glauben. Tania Nowikowa tot! Warum?«
»Yuri, Sie und ich, wir kennen einander nun schon länger als fünfundzwanzig Jahre, und zwar meistens als Feinde. Aber ich nutze jetzt bei Ihnen eine Chance, nämlich die, daß Sie wirk lich wünschen, daß sich heutzutage auf der Welt etwas ändert, vor allem daß der Ost-West-Konflikt beseitigt wird.«
»Aber Sie wissen doch, daß das mein Wunsch und meine Überzeugung ist.«
»Unglücklicherweise teilt nicht jeder im KGB Ihre Meinung, und eine dieser Personen war Tania Nowikowa.«
»Sie war ein Betonkopf, das stimmt schon. Aber was wollen Sie damit andeuten, Charles?«
Ferguson berichtete es ihm. Er erzählte von Dillon, von dem Attentatversuch auf Mrs. Thatcher, von Gordon Brown, von Brosnan, von allem.
Gatow sagte: »Dieser IRA-Joker hat es also auf das Leben des Premierministers abgesehen. Das wollen Sie mir doch klarmachen, nicht wahr? Und daß Tania ihre Finger mit im Spiel hatte?«
»Ja, das ist es, knapp ausgedrückt.«
»Aber, Charles, ich wußte nichts davon. Das kann ich be
schwören.«
»Und ich glaube Ihnen, alter Freund, aber sie muß mit irgend jemand in Verbindung gestanden haben. Ich meine, sie hat es immerhin geschafft, wichtige Informationen nach Paris zu Dillon zu befördern. Auf diesem Weg erfuhr er auch von Brosnan und so weiter.«
»Paris«, meinte Gatow nachdenklich. »Das ist ein Gedanke. Wußten Sie, daß sie drei Jahre in Paris gearbeitet hat, ehe sie nach London versetzt wurde? Und Sie wissen doch, wer den KGB-Posten in Paris leitet?«
»Natürlich – Josef Makeev«, sagte Ferguson.
»Und der ist alles andere als ein Anhänger Gorbatschows. Er gehört noch zur alten Garde.«
»Es würde immerhin eine ganze Menge erklären«, sagte Ferguson. »Aber beweisen können wir das niemals.«
»Das stimmt.« Gatow nickte. »Aber ich rufe ihn trotzdem einmal an, und wenn auch nur, um ihn ein wenig nervös zu machen.«
Makeev hatte sich nicht von seinem Telefon weggerührt und nahm den Hörer schon während des ersten
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