Die Lerche fliegt im Morgengrauen
wirst, kaum daß ich diese Tür dort hinter mir geschlossen habe, und das wäre doch nicht besonders nett, oder?«
Er ging zum Kamin und ließ die Tablettenflasche zwischen die glühenden Kohlen fallen. Ein Krachen ertönte hinter ihm. Er wandte sich um und sah, daß Macey vom Stuhl zu Boden gesunken war. Dillon blieb einen kurzen Moment vor ihm stehen. Maceys Gesicht war jetzt rot angelaufen, und seine Beine zuckten. Plötzlich stieß er einen zischenden Laut aus, so als entwiche alle Luft aus ihm. Sein Kopf fiel zur Seite, und er rührte sich nicht mehr.
Dillon steckte die Colt-Pistole in die Tasche, ging durch den Laden und öffnete die Tür. Er verschloß hinter sich das YaleSchloß und ließ das Springrollo heruntergezogen. Sekunden später bog er um die Ecke der Falls Road und ging, so schnell er konnte, zum Hotel zurück.
In seinem schäbigen Hotelzimmer breitete er den Inhalt des Koffers auf dem Bett aus und entkleidete sich. Zuerst zog er die Jeans an, danach die alten Turnschuhe sowie einen dicken Pullover. Dann kam die Perücke. Er saß vor dem Spiegel des kleinen Toilettentischs und kämmte das graue Haar, bis es zerzaust und ungekämmt aussah. Er band sich das Kopftuch um und betrachtete sich aufmerksam. Dann zog er den knö chellangen Rock an. Der Regenmantel, der ihm viel zu groß war, vollendete die Ausstattung.
Er stand vor der Garderobe und begutachtete sich im Spiegel. Er schloß die Augen, dachte sich in seine Rolle hinein, und als er die Augen wieder aufschlug, war er nicht mehr Sean Dillon, sondern eine verkommene, gestrandete Landstreicherin.
Er brauchte kaum Make-up, sondern nur eine gewisse Grund
lage, um das bleiche Aussehen zu unterstreichen, und den grellroten Strich Lippenstift für den Mund. Natürlich alles völlig grotesk, aber für die Rolle genau richtig. Er nahm eine halbvolle Flasche Whiskey aus einem Beutel im Aktenkoffer und schüttete etwas in seine Handflächen. Dann verteilte er die Flüssigkeit in seinem Gesicht und spritzte sich etwas auf die Vorderseite des Regenmantels. Er steckte den Colt, zwei Zeitungen und die Whiskeyflasche in eine Plastiktüte und war
bereit, sich auf den Weg zu machen.
Er warf einen letzten Blick in den Spiegel und auf die seltsa me, unheimliche alte Frau. »Toi toi toi«, flüsterte er und schlüpfte aus dem Hotelzimmer.
Alles war still, als er die Hintertreppe hinunterhuschte und den Hof betrat. Er schloß die Tür leise hinter sich und ging weiter zur Hoftür, die auf die Gasse hinausführte. Als er sie erreichte, wurde hinter ihm die Hoteltür geöffnet.
Eine Stimme rief: »He, was hast du hier zu suchen?«
Dillon fuhr herum und sah einen Küchenhelfer in schmudde
liger weißer Schürze, der gerade einen Pappkarton in eine Mülltonne stopfte.
»Du kannst mich mal«, krächzte Dillon.
»Na los, verschwinde, du alte Schlampe!« schimpfte der Helfer.
Dillon knallte die Tür hinter sich zu. »Absolute Spitzenklas se«, flüsterte er und lobte sich selbst. Dann ging er durch die Gasse davon.
Er gelangte zur Falls Road und verfiel in einen schlurfenden Gang. Er machte das so überzeugend, daß die Leute ihm Platz machten, um ja nicht mit ihm in Berührung zu kommen.
Es war fast ein Uhr, und Brosnan und Mary Tanner, die an der Bar des Europa saßen, überlegten, wo sie zu Mittag essen könnten, als ein junger Page erschien. »Mr. Brosnan?«
»Ja.«
»Ihr Taxi ist da.«
»Taxi?« fragte Mary. »Aber wir haben keins bestellt.«
»Doch, das haben wir«, widersprach Brosnan.
Er half ihr in den Mantel, und sie folgten dem Pagen durch das Foyer, dann die Eingangstreppe hinunter zu dem schwar zen Taxi, das am Bordstein wartete. Brosnan drückte dem Pagen eine Pfund-Note in die Hand, und sie stiegen ein. Der Fahrer auf der anderen Seite der Glasscheibe trug eine Tweed mütze und einen alten Matrosenmantel. Mary Tanner schob die Trennscheibe ein Stück zur Seite.
»Sie wissen schon, wohin wir wollen?« sagte sie.
»Oh, das weiß ich genau, mein Schatz.« Liam Devlin blickte lächelnd über die Schulter, legte den Gang ein und fuhr los.
Es war kurz nach halb zwei, als Devlin mit dem Taxi in die Canal Street einbog. »Es ist das Haus am Ende«, sagte er. »Wir parken auf dem Hof daneben.« Sie stiegen aus und kehrten auf die Straße zurück und näherten sich dem Eingang. »Benehmt euch anständig, wir sind im Fernsehen«, sagte er und streckte die Hand nach einem Klingelknopf neben der stabilen, eisernen Tür
Weitere Kostenlose Bücher