Die Lerche fliegt im Morgengrauen
war eng und sehr dunkel. Er kroch hindurch, hörte das Geräusch von fließendem Wasser und gelangte zu einer Öffnung in der Seitenwand eines größeren Tunnels, dem Hauptkanal. Es gab Zuflüsse zu diesem Kanal, die von Belfast Lough kamen. Das wußte er noch von früher. Er zog den Rock aus, nahm die Perücke ab und schleuderte beides ins Wasser. Mit dem Kopftuch wischte er sich die Lippen und das Gesicht ab, dann rannte er durch den Kanal, bis er zu einer anderen Eisenleiter gelangte. Er stieg hinauf, den Lichtstrahlen entge gen, die durch die Schlitze des gußeisernen Deckels herein drangen. Er wartete einen Moment, dann drückte er den Deckel hoch. Er befand sich auf einem kopfsteingepflasterten Weg, der parallel zur Canal Street verlief. Auf einer Seite erkannte er die Rückfronten verfallener und mit Brettern verrammelter Häuser. Er schob den Eisendeckel wieder auf die Kanalöffnung und beeilte sich, zur Falls Road zu gelangen.
Im Lagerhaus stand der junge Offizier neben McGuires Leiche und prüfte Mary Tanners Ausweis. »Er ist echt«, sagte sie. »Sie können sich erkundigen.«
»Und diese beiden?«
»Sie gehören zu mir. Hören Sie, Lieutenant, Sie bekommen von meinem Chef eine erschöpfende Auskunft. Wenden Sie sich an Brigadier Charles Ferguson im Verteidigungsministeri um.«
»Na schön, Captain«, verteidigte er sich. »Ich tue hier nur meine Pflicht. Es ist nicht mehr so wie früher, wissen Sie. Wir haben ständig die RUC im Nacken. Jeder Todesfall muß eingehend untersucht werden, sonst machen sie uns die Hölle heiß.«
Der Sergeant kam herein. »Der Colonel will Sie am Funkge rät sprechen, Boß.«
»Gut«, sagte der junge Lieutenant und ging hinaus.
Brosnan sah Devlin fragend an. »Meinen Sie, es war Dil
lon?«
»Es wäre schon ein geradezu phantastischer Zufall, wenn er es nicht gewesen wäre. Eine Landstreicherin?« Devlin schüttel te den Kopf. »Wer hätte denn mit so etwas gerechnet?«
»Dazu ist nur Dillon fähig.«
»Wollen Sie damit andeuten, daß er deshalb von London herübergekommen ist?« fragte Mary.
»Dank Gordon Brown wußte er genau, was wir beabsichti gen. Und wie lange dauert der Flug von London nach Belfast?« fragte Brosnan. »Eineinviertel Stunde?«
»Demnach muß er wieder zurück«, sagte sie.
»Vielleicht.« Liam Devlin nickte versonnen. »Aber in diesem
Leben ist nichts absolut sicher, Kindchen, das werden Sie noch lernen. Und außerdem haben Sie es hier mit einem Mann zu tun, der seit zwanzig Jahren überall in Europa der Polizei immer wieder durch die Finger geschlüpft ist.«
»Nun, dann wird es allmählich Zeit, daß wir diesen Bastard erwischen.« Sie schaute auf McGuire hinab. »Nicht sehr schön, was?«
»Gewalt und Mord. Wenn Sie sich mit dem Teufel einlassen, dann läuft es am Ende darauf hinaus«, meinte Devlin philoso phisch.
Dillon betrat genau zwei Uhr fünfzehn das Hotel durch den Hintereingang und eilte hinauf in sein Zimmer. Er zog die Jeans und den Pullover aus, stopfte beides in den Koffer und legte diesen in einen Schrank über der Garderobe. Er wusch sich schnell das Gesicht, dann schlüpfte er in ein weißes Oberhemd, band sich seine Krawatte um und zog den dunklen Anzug und den dunkelblauen Burberry an. Fünf Minuten später schlich er wieder die Hintertreppe hinunter. Er hatte nur noch den Aktenkoffer in der Hand. Er lief durch die Gasse, bog in die Falls Road ein und schritt zügig aus. Nach fünf Minuten fand er ein freies Taxi und bat den Fahrer, ihn zum Flughafen zu bringen.
Der leitende Offizier des militärischen Geheimdienstes für Belfast und Umgebung war ein Colonel McLeod, und er war von der Situation, mit der er sich konfrontiert sah, nicht gerade begeistert.
»So geht das wirklich nicht, Captain Tanner«, sagte er. »Wir können nicht dulden, daß Sie hier einfallen wie die Cowboys und nach Ihrem eigenen Gutdünken handeln.« Er wandte sich zu Brosnan und Devlin um. »Und dann noch mit Leuten von zweifelhafter Herkunft. Wir haben es hier mit einer sehr heiklen Angelegenheit zu tun, und wir müssen uns mit der Royal Ulster Constabulary arrangieren. Sie betrachten das hier als ihren Einflußbereich.«
»Jaja, schön, das mag ja sein«, erwiderte Mary. »Aber Ihr Sergeant draußen war so nett, mir die Flüge nach London herauszusuchen. Eine Maschine geht um halb fünf, eine andere um halb sieben. Meinen Sie nicht, es wäre eine gute Idee, sich bei beiden die Passagiere einmal genau anzusehen?«
»Wir
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