Die Letzte Arche
getriebene Platte die gargantuaeske Konstruktion der Arche durchschlagen hätte.
Die Schwerkraft ließ auf Übelkeit erregende Weise nach. Das Ende des ersten Pulses. War das nur eine Sekunde gewesen?
Und dann kam der nächste, ein weiterer, nicht mehr ganz so harter Stoß, der sie in ihre Liege presste. Wieder ließ der Druck nach. Dann ein weiterer Stoß. Und noch einer. Es funktionierte. Sie hörte Menschen jubeln und klatschen.
Sie lehnte sich zurück, schloss die Augen und versuchte sich vorzustellen, dass sie auf einer Kinderschaukel in den Trainingseinrichtungen von Gunnison saß und harmlos hin und her schwang. Es war nicht allzu schlimm, eine vorwärts gerichtete Beschleunigung von etwa einem Ge, eine leichte Trainingssession. Gar nicht so schlimm, mit einer Atomrakete in den Weltraum zu fliegen.
Aber die Startanlage sowie alle Mitglieder des Bodenteams, denen es nicht gelungen war, die Zone rechtzeitig zu verlassen, existierten bereits nicht mehr, die unglückliche Stadt Gunnison war dem Erdboden gleichgemacht, wie Hiroshima. Und dabei hatte die Reise noch nicht einmal richtig begonnen.
Jetzt spürte sie, wie das Schiff erschauerte, sich heftig von einer Seite zur anderen verlagerte und sie auf ihrer bequemen Liege durchschüttelte. Die Arche war mit mächtigen Hilfstriebwerken ausgerüstet, Steueraggregaten zur Lageregelung, die ihre Flugbahn gegen die brutalen Stöße der Atombomben berichtigen sollten. Schaukel, schaukel, schaukel …
Sie wurde vorwärts in ihre Gurte geworfen, als wäre das Schiff gegen eine Ziegelmauer geknallt. Der Applaus verwandelte sich in Geschrei.
Pulseinheit ausgefallen. Sie hatten das simuliert.
Holle schaute sich um. Morell machte ein entsetztes Gesicht. »Eine Pulseinheit ist ausgefallen, Theo!«, schrie sie. »Nur eine einzige Einheit von Hunderten. Das ist alles …« Es war immer eine riskante Angelegenheit, eine so komplexe Apparatur wie eine thermonukleare Bombe in die sich ausdehnende Plasmawolke hineinzuwerfen, die nur eine Sekunde zuvor von einer anderen hinterlassen worden war, und zu erwarten, dass sie explodierte. Aber wenn auch die nächste und übernächste Einheit versagte, würden sie in ihren eigenen radioaktiven Dreck zurückfallen …
Ein weiterer Schubs. Herrgott, war das wieder nur eine Sekunde gewesen? Die Zeit war elastisch.
Noch ein Schubs. Und noch einer. Jetzt gab es einige pogoartige, längslaufende Erschütterungen, als die massige Arche diesen versäumten Stoß absorbierte. Dann pegelten sich die Beschleunigungsabfälle wieder auf den stetigen Schaukelrhythmus ein.
Sie spürte, wie Theos Hand nach ihrer tastete. Sie ergriff sie, hielt sie fest und wünschte sich, Mel und ihr Vater wären hier. Schaukel, schaukel, schaukel, der Pulsrhythmus war etwas langsamer als ihr Ruhepuls, schaukel, schaukel, und der Rumpf der Arche ächzte, als sie wie ein dunkler Engel aus der Asche ihrer Startrampe emporstieg.
Etwas klatschte ihr ins Gesicht. Es war Urin, der vom Deck über ihr herabtropfte.
Schaukel, schaukel.
45
Thandie Jones stand im Kontrollraum von Pikes Peak inmitten einer Szenerie, die sie nie wieder zu sehen geglaubt hatte, einer Szenerie, die sie wie so vieles andere aus der Welt vor der Flut für verloren gehalten hatte: ein Startkontrollzentrum, Reihen ernster Techniker, die leise in Mikrofone sprachen, während sie ein Raumschiff bei seinem Aufstieg von der Erde überwachten.
Aber was für ein Raumschiff!
Gordo berührte sie an der Schulter. »Schau. Wir haben ein paar Bilder der Momente vor der ersten Explosion.« Die Bilder waren von einer Kamera direkt unter der Prallplatte aufgenommen worden. »Siehst du das?« Gordo zeigte konzentriert hin. »Dieses Dampfwölkchen ist der Einschuss der Sprengladung. Da ist die Pulseinheit selbst …« Ein vasenförmiges Objekt fiel aus einem Loch in dem riesigen Metalldach über ihm herab. »Das Antiablationsöl wird auf die Prallplatte gesprüht. Und – peng – die Detonation der Bombe.« Die Sequenz endete, als die Kamera pulverisiert wurde.
Thandie hatte zum ersten Mal vor vierundzwanzig Jahren mit Gordo Alonzo zusammengearbeitet, als sie in einem museumsreifen U-Boot getaucht waren und Beweise für unterirdische Meere gesucht hatten. Nachdem es ihr mit dem Thema Grace Gray gelungen war, wieder seine Aufmerksamkeit zu erringen, hatte er sie nun eingeladen, hierherzukommen und sich den Höhepunkt des Projekts anzuschauen. Sie hätte sich nie träumen
lassen, dass sie und Gordo nach
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