Die Letzte Arche
–, alles machbar ohne materielle
Unterstützung durchs Zentrum. Selbst von den Ärzten bekommen sie eher Ratschläge als Medikamente. Für mehr reichen unsere Ressourcen einfach nicht aus.« Er schaute sich um, vergewisserte sich, dass keine Eye-Dees mithörten. »Wir setzen hier nicht mal mehr Polizisten ein. Wir ermutigen sie, unter der offiziellen Autorität von Alma ihre eigene Sicherheitsstruktur aufzubauen. Wir geben Papierabzeichen aus – die kosten nicht viel. Meistens löst sich alles sehr schnell auf, und irgendein Warlord übernimmt die Macht, aber das ist uns egal, solange Ordnung herrscht. Oh, und wir schließen immer die Bordelle. Gordo meint, damit kämpften wir gegen die menschliche Natur an, aber die Kommandanten haben es zu einer vordringlichen Aufgabe erklärt, also geben wir uns Mühe.«
»Es ist alles eine Art Illusion«, platzte Mel heraus. »Sie glauben, sie stünden unter dem Schutz der Regierung. Aber in Wirklichkeit …«
»Wir sorgen dafür, dass die Leute ruhig bleiben. Als hätten sie Tranquilizer genommen. Es funktioniert, weil die Menschen glauben wollen, dass sie in Sicherheit sind, dass irgendjemand an ihr Wohlergehen denkt, so wie es ihr ganzes Leben lang war, zumindest bei den älteren Leuten, die sich noch an die Zeit vor der Flut erinnern können. Hier ist die Lage relativ stabil. « Er zeigte nach Norden, wo der Highway im Bogen durch getüpfelte Hänge führte. »Da draußen sind noch mehr. Tausende. Wir führen Strafexpeditionen durch, wir verminen die Straßen und versuchen, sie fernzuhalten. Aber bevor sie zu uns kommen, müssten sie erst diese Siedlungszone durchqueren. Solche Lager wie dieses gibt es überall um Alma herum. Sie bilden einen Ring.«
Mel verstand. »Ihr benutzt all diese Menschen als Schirm. Als menschliches Schutzschild.«
Don musterte ihn. »Sieh mal – die Flut kommt einfach immer näher, das Wasser steigt die Täler hoch, die Flusstäler des Platte und des Blue River und die anderen, warmes, schaumiges Salzwasser, alles vergiftet mit dem Dreck der versunkenen Städte, und Leichen treiben dahin wie Korken. Ich hab’s gesehen. Wir verlieren gerade Orte wie Leadville, Hartsel und Grant. Das treibt die Menschen weiter, wie Vieh.
Jeder weiß, dass es bei Alma eine Enklave gibt. Deshalb kommen sie auf der Suche nach Zuflucht, eine Welle nach der anderen. Wir wissen nicht, wie viele da draußen sind, in den Bergen um Alma herum. Manche glauben, es könnten bis zu einer Million sein. Wir können die einfach nicht alle versorgen, nicht mal ein Prozent von ihnen. Und wir können nicht weglaufen, so wie damals, als wir Denver evakuiert haben. Uns bleibt nichts anderes übrig, als sie in Schach zu halten, bis der Job im Kontrollzentrum erledigt ist. Dazu mussten wir rausfinden, wie wir jedes noch verfügbare Mittel gegen den Zustrom der Eye-Dees einsetzen können. Und das wichtigste dieser Mittel sind die Eye-Dees selbst.«
Mel blickte in Dons ausdrucksloses Gesicht hinter der Maske seiner Narbe, der Sonnenbrille, den Stoppeln auf seiner schmutzigen Kinnpartie, und er sah nichts mehr von dem Jungen, den er auf der Akademie kennengelernt hatte. »Wir werden siegen, oder?«
»Wenn du die Wahrheit wissen willst, ich bin mir da nicht so sicher«, sagte Don düster. Er schaute zum bewölkten Himmel hinauf. »Dieser Gag, den Warp-Start auf den Zeitpunkt der Mondfinsternis zu legen – keine Ahnung, wer auf diese bescheuerte Idee gekommen ist. Wenn der Mond rot wird, werden all die Irren hier vermutlich zu heulen anfangen, selbst wenn sie nur Gerüchte über die Arche gehört haben. Na ja, wir müssen
die Stellung nur noch vierundzwanzig Stunden lang halten. Also, was meinst du, ist es die Sache wert – alles, was du heute gesehen hast –, wenn die Arche dadurch die beste Chance hat, zu den Sternen zu fliegen?«
»Holle und Kelly sind an Bord. Sie verlassen sich auf uns. Ja, es ist die Sache wert.«
»Okay, mein Junge. Ich glaube, du bist bereit, den Rest zu sehen.«
»Welchen ›Rest‹?«
Als Antwort führte Don ihn durch die Hüttensiedlung zum Sicherheitstor und der geduldigen Schlange der Bewerber zurück.
54
Zusammen mit Don beobachtete Mel ein altes Ehepaar, vielleicht Ende sechzig, das gerade von einer teilnahmsvollen Frau am Abfertigungsterminal befragt wurde.
Die beiden hießen Phyllis und Joe Couperstein. Sie hatten Kinder und auch ein Enkelkind, wie sie glaubten, hatten aber schon seit Jahren nichts mehr von ihren Kindern gehört. Beide
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