Die Letzte Arche
ihre abgewetzten Schuhe von sich und trat ein. Ihre Füße hinterließen Blutspuren auf dem Boden. Die Tür glitt sanft hinter ihnen zu.
Don trat zurück und schaute auf seine Armbanduhr. »Nur noch eine halbe Stunde bis zur nächsten Reinigung. Wir bleiben in der Nähe. Komm.« Er ging voran, zurück zur Abfertigungssperre.
In den nächsten dreißig Minuten wurde noch zweimal ein Aufenthalt im Erholungszentrum angeboten. Die erste Einladung ging an einen Mann, der eine ältere Dame in einem unglaublich ramponierten Rollstuhl schob; er musste fünfzig sein, sie achtzig, und sie litt an Demenz. Ein übler Gestank von Exkrementen kam unter ihrer schmutzigen Decke hervor. Die zweite erhielt ein junger Vater mit einem ungefähr drei Jahre alten Mädchen, einer Ansammlung von Haut und Knochen und hängendem Kopf, der für ihren Körper zu schwer war. Die Mutter war am Morgen fortgelaufen und hatte ihre Rucksäcke und das letzte Essen mitgenommen. Ja, der Mann sehnte sich nach einer Pause. Mel und Don geleiteten den Sohn mit seiner Mutter sowie den jungen Vater und seine Tochter zum Erholungszentrum, das sie mit ebensolcher Erleichterung betraten wie die Coupersteins.
Don schaute erneut auf die Uhr. »Ein Uhr mittags. Gleich ist es so weit.«
Ein Beamter des Heimatschutzes stieß einen Pfiff aus. Soldaten und Polizisten kamen angetrabt und bildeten eine unregelmäßige Postenkette um das Zentrum. Don gesellte sich zusammen mit Mel zu ihnen. Ein Ingenieur kam herbei und zeigte dem hochrangigen Beamten seine Ausweispapiere. Er vergewisserte sich, dass die Tür des Zentrums verschlossen war, und betätigte einen Hebel.
»Halte deine Waffe schussbereit«, sagte Don leise zu Mel und hob sein AK-47 hoch.
Der Ingenieur drückte auf eine letzte Taste seines Handhelds und trat zurück. Mel hörte das Surren von Pumpen, das Zischen von Gas. Ein seltsamer, schwer definierbarer Geruch wie nach Mandeln stieg ihm in die Nase.
Die Sonne brach durch die Wolken. Nichts von alledem kam ihm real vor.
Mel sagte: »Ich nehme an, das Gasrohr verläuft unterirdisch.«
»Wäre ein bisschen zu offensichtlich, wenn nicht.«
»Wozu die Postenkette?«
»Manchmal ändern die Patienten des Zentrums in letzter Minute ihre Meinung. Versuchen auszubrechen.«
»Und wir erschießen sie.«
»Wenn wir sie nicht aufhalten, kriegen wir ein höllisches Sicherheits-Schlamassel und ein Gesundheitsproblem.« Don warf Mel einen Blick zu. »Ich weiß, was du denkst. Auf der Akademie haben sie uns von den Nazis erzählt, nicht? Wir sind keine Nazis, Mel. Mach dir das immer wieder bewusst. Das hier ist eine amerikanische Regierung, die alles in ihrer Macht Stehende für ihre Bevölkerung tut. Wir haben sonst nichts mehr, was wir ihnen anbieten können.«
»Sie denken, sie gehen da rein, um sich ein wenig zu erholen. Nicht, um zu sterben …«
»Nein. Sie wissen es , auf irgendeiner Ebene, selbst wenn sie es sich nicht eingestehen würden. Ist schon gut. Ich weiß, wie sich das anfühlt. Es dauert nur noch ein paar Minuten.«
Mel verstand jetzt alles. Dies war der Wesenskern der Maschine, die ihn und die Arche jahrelang geschützt hatte, einer Maschine, die mit Fleisch und Blut und falschen Hoffnungen betrieben wurde.
Es schien lange zu dauern, bis das Zischen des Gases verstummte. Ein Mann in einem blassblauen ABC-Anzug kam herbei, und ein Soldat ging an der Postenkette entlang und teilte weitere Anzüge aus.
Mel nahm seinen benommen entgegen. »Was jetzt?«, fragte er Don.
»Reinigung«, sagte Don. Er legte seine Waffe auf den Boden und steckte die Beine in die Anzughose. »Nur eine Vorsichtsmaßnahme. Das Gas ist abgepumpt worden.«
»Ich kann das nicht.«
»Du musst. Es ist deine Pflicht. Eine Aufgabe, die wir nicht an die Eye-Dees delegieren können. Komm schon, Mann, hilf mir, den Reißverschluss an dem verdammten Ding zuzumachen. «
So ging es für Mel den ganzen restlichen Tag lang weiter, bis seine Wache gegen zwanzig Uhr endete.
Don begleitete ihn zur Zeltstadt zurück und half ihm, sein Bett und seine Sachen zu finden. Mels Bewusstsein schien sich irgendwie ausgeschaltet zu haben. In den anderen Betten um seines herum lagen lauter schlafende Soldaten, Männer und Frauen, die meisten noch bekleidet, die Stiefel auf dem Boden unter dem Bett. Offiziere gingen lautlos zwischen den Reihen auf und ab und sprachen ein paar leise Worte, wenn einer der Soldaten sich bewegte.
Mel trank etwas Wasser, merkte jedoch, dass er nichts essen
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