Die Letzte Arche
noch warm waren von den Körpern ihrer Vorgänger. Die Ruhepause dauerte eine halbe Stunde, lang genug, um sich etwas zu essen und zu trinken zu besorgen, ein Nickerchen zu machen und Füße zu massieren, die nach dem Marsch in schlecht sitzenden Stiefeln von Alma hierher bereits wund waren. Trotz der Klagen war das Essen, eine Art Kaninchenragout, gar nicht so schlecht. Cops und Soldaten bekamen besseres Essen als fast alle anderen – sogar besseres als die Ingenieure und Wissenschaftler im Kontrollzentrum, weshalb die meisten körperlich leistungsfähigen Eye-Dees danach strebten, sich einer Militäreinheit anzuschließen.
Dann mussten sie erneut antreten und marschierten auf dem Highway die letzen paar Hundert Meter nach Norden, zum Auffanglager.
53
Als sie sich der Sicherheitseinfriedung näherten, versuchte Mel, den Anblick in sich aufzunehmen.
Vor ihm befand sich ein Zaun, ein Komplex aus Stacheldraht, Wachtürmen und Schanzwerken, der den alten Highway überspannte und sich zu beiden Seiten hoch hinauf in die Berge zog, über den kahlen braunen Boden und quer durch die groben Rechtecke der armseligen neuen Farmen. Auf dem Highway selbst saß ein massives Tor aus Stahl und Beton, das von Wachtürmen und Scheinwerfern starrte. Soldaten, Nationalgardisten, Heimatschutzleute oder Cops sicherten den Zaun; man sah sie am Stacheldraht entlanggehen oder in ihren Türmen sitzen.
Dies war die Grenze des Territoriums um Alma herum, das noch unter dem Schutz der Bundesregierung stand. Die Grenze zwischen Ordnung und staatlicher Kontrolle im Innern und dem Chaos draußen. Colonel Gordo Alonzo, der höchstrangige noch lebende Leiter von Projekt Nimrod, war vom Präsidenten persönlich zum Militärgouverneur ernannt worden. Es gab Gerüchte, dass dies so ziemlich die einzige noch verbliebene größere Enklave unter der Herrschaft der Bundesregierung war, abgesehen von militärischem Bestand auf See wie den noch vorhandenen Schiffen und U-Booten der Navy. Aber nur wenige Menschen konnten wissen, ob das stimmte.
Das Auffangzentrum für Flüchtlinge war dort eingerichtet worden, wo der Zaun den Highway überquerte. Ein paar Gebäude,
grobe Betonblocks, standen etwas zurückgesetzt hinter der eigentlichen Linie. Eine Art Korridor aus Stacheldraht verband sie mit dem Tor; die Wände des Korridors waren mindestens drei Meter hoch, und innen wie außen patrouillierten bewaffnete Soldaten. Zusätzlich war hier eine kleine Industrieanlage errichtet worden; sie ähnelte einer Chemiefabrik mit Tanks, Tonnen und glänzenden Rohren. Auf einem Schild über der Tür stand:
ALMA, CO.
ERHOLUNGSZENTRUM
EIGENTUM DER AMERIKANISCHEN
BUNDESREGIERUNG
Mel sah zu seinem Erstaunen, dass am Eingang dieses Komplexes Blumen in Töpfen blühten, die an Halterungen aus Metall hingen.
Am Tor selbst sah Mel eine Reihe von Tischen, hinter den Soldaten und Zivilisten mit Laptops und elektronischen Notepads saßen. Sie befragten Eye-Dees, immer einen nach dem anderen. Jenseits des Tores erstreckte sich ein System von Warteschlangen, Reihen zerlumpter, schmutziger, abgemagerter Menschen, die sich im Zickzack zwischen Metallbarrieren vorwärtsbewegten. Weiter draußen stellten Zweiergruppen von Soldaten die Leute in vorläufigen Schlangen auf.
Und hinter ihnen sah Mel zahlreiche weitere Menschen, die im Staub saßen oder standen. Schon auf diesen ersten Blick mussten es Tausende sein.
»Scheiße«, sagte er leise zu Don, der neben ihm stand. »Wenn dieser Haufen die Geduld verliert …«
»So darfst du nicht denken«, erwiderte Don ebenso leise. »Es ist unser Job, dafür zu sorgen, dass es nicht so weit kommt.« Er
baute sich vor der Einheit auf, die er an diesem Tag befehligte, seinen Veteranen und Mels frischen Rekruten aus Alma. »Okay, hört zu. Wir teilen euch in Gruppen auf, immer zu zweit, zu dritt oder zu viert, Veteranen zusammen mit Neuen. Heute lernt ihr der Reihe nach die diversen Elemente unserer Tätigkeit kennen, damit ihr das große Ganze seht. Ausbildung am Arbeitsplatz, versteht ihr? Danach, also ab morgen, werden wir euch dauerhafte Aufgaben zuweisen.« Er grinste grimmig. »Ich will euch dasselbe sagen, was ich vorhin meinem Kameraden hier gesagt habe. Der erste Tag ist der schlimmste. Aber wenn ihr den durchsteht, schafft ihr’s. Und vergesst nicht, wie wichtig diese Arbeit ist. Hier halten wir die Stellung – nicht unten an der Buckskin Street, nicht in diesen armseligen Farmen im Hinterland. Alles hängt davon ab, wie gut
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