Die Letzte Arche
arbeiten; sie exponierte sich nicht gern, schon gar nicht in einer solch aufgeladenen Atmosphäre. Aber die Pflicht, die Pflicht war ein ewiger Ansporn für sie. Wenn niemand sonst den Dreck wegschaufelte, würde sie es tun. Manchmal sogar buchstäblich.
Sie zog sich in den Raum, den Kelly verlassen hatte. »Wir müssen weitermachen. Irgendwelche Einwände dagegen, dass ich die Versammlung von jetzt an leite?«
Zustimmendes Gemurmel. Den Ausschlag gab, dass Kelly, Venus und Wilson nickten. Aber Wilson grinste spöttisch. »Typisch für dich, Groundwater. Warum bist du nicht hier oben und bringst selbst deine Ablehnung zum Ausdruck? Kleine graue Maus.«
Holle beachtete ihn nicht. »Bringen wir die Sache so schnell wie möglich hinter uns. Wir brauchen einen neuen Sprecher. Gibt es Kandidaten? Hebt die Hand, wenn ihr euren Hut in den Ring werfen wollt.«
Kellys Arm fuhr in die Höhe.
Venus hob würdevoll die Hand.
Und dann, langsam, beinahe widerstrebend, als würde sein Arm nach oben gezogen, hob Wilson die rechte Hand. Kelly schleuderte ihm einen Blick puren Abscheus zu.
Holle machte vorsichtig weiter. »Okay. Kelly Kenzie, Venus Jenning und Wilson Argent erklären ihr Interesse. Aber es sind nicht alle Mitglieder der Crew anwesend.« Sie schaute zur nächsten Kamera hinauf. »Grace, bist du in der Kuppel?«
Grace Gray hatte an diesem Tag Wachdienst. Ihre Stimme dröhnte aus den Bordlautsprechern. »Ich bin hier, Holle. Wir sehen dich. Helen sagt Hallo.«
Holle grinste. »Ich wünschte, ich wäre bei euch«, bekannte sie trübselig. »Bitte gib an alle in Seba und drüben in Hawila durch: Wer seine Kandidatur für diesen Posten erklären möchte, soll sich jetzt melden.« Sie blickte in die nächste Kamera hinauf. »Lasst uns das ordentlich machen, Leute, damit es hinterher keine Kritik gibt. Wenn euer Nachbar schläft, dann weckt ihn, damit er seine Chance nicht verpasst. Ihr habt fünfzehn Minuten für eure Antwort. Alle einverstanden?« Sie schaute sich erneut um. Es gab keine Einwände.
Es waren die längsten fünfzehn Minuten in Holles Leben, zumindest seit sie auf der Startrampe in Gunnison darauf gewartet hatte, dass unter ihrem Hintern eine Atombombe explodierte. Auf Deck zehn blieb jeder, wo er war, stumm wie ein Stein.
Nach den fünfzehn Minuten gab es zu Holles Erleichterung keine weiteren Kandidaten.
»Okay«, sagte sie. »Dann schlage ich vor, wir gehen zur Wahl über. Wie wollt ihr’s machen – per Handzeichen? Grace, wenn du verfolgen kannst, was in Hawila passiert …«
»Nein«, sagte Wilson. Er sprach in entschiedenem Ton und mit klarer Stimme. »Diese Entscheidung ist so wichtig, dass wir dabei keinen Mist bauen sollten. Es ist nicht so wie bei unserem Aufbruch vom Jupiter, als wir keine ernsthaften politischen Meinungsverschiedenheiten und keine persönlichen Differenzen hatten. Jetzt muss es eine Diskussion geben.«
»Was schlägst du vor?«
»Dass wir uns Zeit lassen. Sagen wir, eine Woche. Wozu die Eile? Bis dahin kann Holle als kommissarische Sprecherin amtieren. In dieser Zeit werden wir Gelegenheit haben, darüber zu reden, wohin wir als Crew und als Gemeinschaft wollen. Und dann können wir eine richtige Wahl abhalten.«
Weder Venus noch Kelly schienen damit sonderlich glücklich zu sein, aber keine der beiden erhob Einwände.
»Okay. Und was geschieht am Ende dieser Woche? Versammeln wir uns zu einem Votum durch Akklamation?«
»Nein, zum Teufel. Wir führen eine geheime Abstimmung durch. Wir finden schon eine Möglichkeit, das hinzukriegen. Ich schlage vor, wir setzen zwei Runden an – zunächst scheidet der dritte Platz aus, dann kommt eine Stichwahl zwischen den ersten beiden …«
Kelly schnaubte. »Eine geheime Abstimmung? Würdest du wirklich eine solche Ressourcenverschwendung in Kauf nehmen? «
Wilson sah sie lange an, dann richtete er den Blick vielsagend auf Masayo. »Es darf keine Einschüchterungsversuche geben. Eine geheime Wahl ist eine geeignete Methode, um das zu gewährleisten. «
Er setzte sich durch. Und als sich die Versammlung erregt schwatzend auflöste, hielt Holle die drei – Kelly, Venus und Wilson – zurück, um einen grundlegenden Ablaufplan für die kommende Woche auszuarbeiten. Grace schaute von fern als Zeugin zu. Kelly und Wilson hielten Abstand voneinander und wollten sich nicht einmal ansehen.
Als es schließlich vorbei war, entfloh Holle ungeheuer erleichtert in die Ruhe und Stille ihrer Kabine, wo sie daran ging, Kellys
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