Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Letzte Arche

Die Letzte Arche

Titel: Die Letzte Arche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
misstrauischer. »Wir halten aber Kontakt, wir haben Funkgeräte, wir tauschen Informationen und Kinder aus. Wir machen uns Sorgen wegen der Inzucht, genau wie die Sozialingenieure auf eurer Akademie.« Sie zeigte auf ein Kind. »Der Kleine da drüben, der die Vertäuung an der Ecke des Floßes repariert – er heißt Boris. Dreizehn Jahre alt. Ich bin vor sieben Jahren auf dieses Floß gekommen, nachdem ich eine Frau namens Lily Brooke besucht hatte, um zusammen mit ihr den Untergang des Mount Everest zu beobachten.
Lily war mit Boris verwandt – seine Urgroßtante, glaube ich. Vielleicht habt ihr von Lily gehört. Sie war eine Freundin von Grace Gray. Sie hat dafür gesorgt, dass Grace auf die Arche Eins kam.«
    »Grace ist in Hawila«, sagte Kelly, »dem anderen Modul, das nicht zur Erde zurückgekommen ist.«
    »Sie war schwanger, als sie in die Crew aufgenommen wurde.«
    »Sie hat das Baby bekommen, noch bevor wir beim Jupiter waren. Ein Mädchen namens Helen. Sie ist jetzt erwachsen, schätze ich, sie muss siebzehn Jahre alt sein.«
    Thandie nickte. »Gut zu hören. Lily und Grace kannten sich schon sehr lange. Lily hat alles dafür getan, Graces Leben zu retten, sie vor der Flut zu bewahren. Ich nehme an, das ist ihr gelungen. «
    »Grace hat nie von ihr gesprochen«, sagte Kelly.
    Lily war nicht lange nach dem Everest gestorben. Sie hatte für Grace getan, was sie konnte. Thandie war froh, dass sie nie etwas von Graces langsamer Rache erfahren hatte. Manche Leute verzeihen es einem nie, wenn man ihnen das Leben rettete.
    »Nach dem Everest haben Manco und Ana, Lilys Großneffe und seine Frau, mich aufgenommen. So wie sie nun euch alle aufnehmen werden. Sie sind von Natur aus großzügige Leute.«
    Kelly starrte die Kinder an. Die meisten langweilten sich inzwischen, wie Thandie erwartet hatte, und waren zu ihrem ewigen Spielplatz, dem Meer, verschwunden. »Sie wirken – fremdartig. Aber nicht mehr als wir für sie, schätze ich.«
    »Sie sind aufgewachsen, ohne etwas anderes zu kennen als das hier«, sagte Thandie. »Nur das Floß und das Meer. Einige von ihnen lernen kaum laufen, bevor sie über Bord springen.
Einige sprechen so gut wie gar nicht. Es ist nicht so, als wären sie präverbal, aber sie scheinen eine eigene Sprache zu entwickeln, Wörter, Gesten, Körperformen, die sie unter Wasser benutzen können. Letztendlich verschwinden manche von ihnen einfach. Sie springen vom Floß, und man sieht sie nie wieder. Vielleicht erwischen sie die Haie; davor haben die Eltern Angst. Ich frage mich, ob sie sich nicht einen eigenen Ort zum Leben suchen. Vielleicht auf den großen natürlichen Flößen, wo die Möwen leben, lauter Treibholz und Guano. Ich wünsche ihnen alles Gute.«
    Mike Wetherbee sagte: »Klingt wie die Mutter aller Generationskonflikte. «
    »Ist es auch. In fünfhundert Jahren werden ihre Kindeskinder wahrscheinlich Schwimmhäute zwischen den Zehen haben. Aber ich hoffe, sie erinnern sich an ihre Menschlichkeit, an die Geschichte, die sie hervorgebracht hat, an die von ihren Vorfahren errichtete Zivilisation. Ich versuche, Boris Astronomie beizubringen …«
    Die Kinder waren nett zu Thandie, aber sie hörten ihr nur selten zu. Das machte ihr nichts aus, es störte sie nicht, dass sie ignoriert wurde, so wie seit vierzig oder mehr Jahren, seit sie erst die Überflutung von London und New York und dann die gewaltigen, erstaunlichen marinen Transgressionen miterlebt hatte, bei denen das Wasser plötzlich breite Streifen tief liegender kontinentaler Landflächen bedeckte und die menschliche Zivilisation auf der Flucht zerfiel. Die Flut war einfach zu groß; man konnte nur danach streben, sie zu beobachten. Tatsächlich war es ein Privileg, diesen Übergangsmoment miterlebt zu haben. Und schließlich war keines dieser Kinder und Enkelkinder von ihr. Die Zukunft dieser Kinder interessierte sie nicht. Die Gegenwart und die Vergangenheit waren genug …

     
    Die anderen beobachteten sie neugierig.
    Sie war weggedriftet in die ozeanischen Tiefen in ihrem eigenen Kopf, war in ihrer Lotusstellung eingeschlafen. »Entschuldigung«, sagte sie. »Altersnarkolepsie.«
    »Und ich muss mich entschuldigen, dass ich Sie so anstarre«, sagte Mike Wetherbee. »Ist lange her, dass jemand von uns einen alten Menschen gesehen hat. Vergeben Sie mir.«
    »Ihr habt eine ›Aufteilung‹ erwähnt. Erzählt mir davon.«
    Kelly warf Masayo und Mike einen Blick zu. Sie zuckte die Achseln und erzählte eine

Weitere Kostenlose Bücher