Die Letzte Arche
der Sauerstoffgehalt hat sich deutlich verringert.«
Kelly nickte behutsam, als wäre ihr Kopf zu schwer für den Hals. »Wir haben in der Umlaufbahn ein paar Spektrometerdaten gesammelt. Ich konnte es nicht glauben.«
»Die Welt ist nicht so fruchtbar wie damals. Jedenfalls noch nicht. Als die Flut kam, sind an Land natürlich viele Arten ausgestorben, aber im Meer auch. Keine Nährstoffe mehr, die vom Land hineingespült wurden. Die Produktivität der Biosphäre hat sich insgesamt drastisch verringert, und infolgedessen auch der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre – er ist einigen Teilnehmern der Kaminrunde zufolge auf sechzehn Prozent gesunken, also um fünf Punkte. Das entspricht dem früheren Sauerstoffgehalt in einer Höhe von dreitausend Metern.«
»Na toll«, sagte Mike Wetherbee. »Wir haben die Welt ertränkt, und trotzdem fühle ich mich, als hätte ich einen Berg bestiegen. «
»Noch schlimmer, die Luft ist wärmer als früher. Man hechelt, um sich kühl zu halten, und vermisst den Sauerstoff noch mehr.«
»Wärmer«, sagte Masayo Saito. Er schien noch mehr Schwierigkeiten beim Atmen zu haben als die anderen, und er sprach in kurzen Stakkato-Schüben. »Treibhausgase?«
»Ja. All die versunkenen, verrottenden Regenwälder. Allerdings glauben wir, dass die Flut nun doch endlich abflaut. Wie
es scheint, steuert sie auf eine Asymptote von ungefähr achtzehn Kilometern über dem Wasserspiegel von 2012 zu. Was heißt, dass der Erdozean ungefähr das fünffache Volumen wie vor der Flut haben wird, und das entspricht wiederum einigen meiner Modelle der ›Freisetzung unterirdischer Meere‹, wie ich es genannt habe. Ihr seht, ich bin auch jetzt noch von dem Gedanken besessen, dass die wissenschaftliche Forschung von größter Bedeutung ist.«
Kelly lächelte. »Auf der Akademie habe ich mit Leuten wie Liu Zheng zusammengearbeitet. Ich weiß das zu schätzen.«
»Ja. Ich habe überlebt, um das scheußlichste ›Ich hab’s euch ja gesagt‹ der Geschichte verkünden zu können. Toller Trost. Kann sein, dass wir auf ein neues klimatisches Gleichgewicht irgendwo da draußen im Parameterraum zusteuern. In der Kaminrunde zirkuliert ein Modell – das sogenannte Boyle-Modell –, und Boyle, dieses alte Arbeitstier, wäre begeistert, wenn er wüsste, dass er damit unsterblich geworden ist.« Da jedoch keiner von ihnen je etwas von Gary Boyle oder der Kaminrunde gehört hatte, einer losen, vernetzten Gemeinschaft alternder Klimatologen und Ozeanographen, erntete sie nur verständnislose Blicke. »Die Atmosphäre der Boylewelt wird einen sehr hohen Kohlendioxid- und einen sehr niedrigen Sauerstoffgehalt aufweisen. Die extreme Erwärmung wird noch heftigere Stürme hervorrufen, die die Meeresschichten durchmischen und dadurch das Leben fördern könnten, insbesondere die Fotosynthese des Planktons …«
»Wodurch Kohlendioxid gebunden würde«, warf Kelly ein.
»Ja. Ihr seht, da muss eine Rückkopplungsschleife geschlossen werden. So bekommt man Stabilität. Bei höheren Temperaturen macht sich auch die Kalksteinverwitterung unter Wasser bemerkbar. Aber das ist alles sehr umstritten. Niemand hat
mehr die Computerkapazitäten, um solche Modelle zu prüfen. Und selbst wenn die Boylewelt tatsächlich entstünde, können Menschen darin vielleicht nicht überleben. Zu warm.«
Masayo ließ den Blick über das Floß schweifen und zeigte auf ein Gestell mit Fischen. »So unproduktiv ist das Meer offenbar nicht. Und sind das Möweneier?«
»Einige Tiefsee-Arten scheinen sich trotz der fehlenden Nährstoffe im Meer irgendwie zu erholen, nachdem wir nun aufgehört haben, alles leerzufischen und Schadstoffe hineinzupumpen. Es ist, als würde die Erde einen Seufzer der Erleichterung ausstoßen. Die Vögel haben natürlich gelitten. Kein Land, nirgends eine Möglichkeit zu nisten. Doch einige Möwen scheinen überlebt zu haben. Wir glauben, dass sie ihre Nester auf schwimmendem Abfall bauen.«
»Wir haben nicht viele Ansammlungen von Flößen gesehen«, sagte Kelly. »Und wenn, dann meist über den größeren Städten. Aber auch dort sind die Menschen ziemlich weit verstreut.«
»Wir kommen wegen des Mülls«, sagte Thandie unverblümt. »Selbst nach so vielen Jahren. Austretende Giftstoffe vertreiben die Fische, aber im Gegenzug werden sie von den nach oben steigenden Nährstoffen wieder angelockt.« Sie erläuterte nicht näher, was für Nährstoffe das sein mochten, aber Mike Wetherbee betrachtete den trocknenden Fisch
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