Die Letzte Arche
Regierung die Wahrheit kannte – falls irgendjemand in diesem Raum sie kannte –, so teilte er sein Wissen nicht mit Patrick.
Kenzie lehnte sich zurück und verschränkte die fleischigen Finger hinter dem Kopf. »Wir kommen nicht weiter, oder? Wir sind uns einig, dass wir eine neue Erde brauchen. Aber es gibt keine neuen Erden im Sonnensystem. Wir haben alle Möglichkeiten durch.«
»Wir haben Kategorie eins durch«, sagte Liu Zheng geduldig. »Kategorie zwei ist noch offen.«
Jerzy Glemp grinste. »Die Sterne.«
Kenzie schob seinen Stuhl zurück. »Herrje, bevor wir damit anfangen, brauche ich eine Zigarette. Ich weiß, ich weiß. Aber ich habe mit dem Aufhören aufgehört, nachdem ich meine ersten tausend Morgen Land am Meer an die Flut verloren hatte. Hey, Joe, können Sie noch ein bisschen Kaffee auftreiben?«
In der Pause ging Kenzie hinaus, um zu rauchen, und die anderen drängten sich um die frisch gefüllte Kaffeekanne.
Patrick gesellte sich zu Liu Zheng, der allein dastand und höflich auf den Kaffee wartete. »Sie sind weit weg von zu Hause«, sagte er zögernd.
»Wie so viele von uns«, erwiderte Liu, aber er lächelte.
»Wie kommt es, dass Sie in den Vereinigten Staaten sind?«
»Als das Wasser kam, ist meine Familie aus unserem Heim in Shanghai vertrieben worden. Ich war zwanzig. Wir haben in einer Flüchtlingskolonie in der Provinz Zhejiang gelebt. Ich konnte meine Ausbildung weiterführen. Dann kam die Einberufung.«
»Die Einberufung?«
»Für den bevorstehenden Krieg mit den Russen und Indern um die höheren Lagen Zentralasiens. Ich wollte nicht in einem solch sinnlosen und verheerenden Konflikt kämpfen. Meine Familie hat mir die Reise nach Amerika bezahlt. Zu meinem Glück ist Dr. Glemp dank der Eignungstests im Auffangzentrum auf mich aufmerksam geworden.«
»Sie sind doch nicht bloß ein Gebrauchsgegenstand oder ein Konglomerat von Fähigkeiten.«
»Nein? Ohne Land ist keiner von uns irgendetwas, Mr. Groundwater. Ohne einen Raum, wo man stehen, einen Platz, wo man liegen kann. Wenn Sie das haben – und ich habe es nicht –, können Sie mit mir machen, was Sie wollen. So ist es hier, genau wie daheim.«
»Ja, vielleicht.« Aber Patrick spürte, dass eine neue Entschlossenheit in ihm brannte, Holle vor diesem Schicksal zu bewahren. »Haben Sie eine Frau zu Hause? Und Kinder?«
»Eine Frau«, sagte er. »Als ich floh, musste ich sie verlassen. Ihre Familie wollte sie nicht freigeben, so dass sie mitkommen konnte, und ich bin ohnehin nicht sicher, ob sie es wollte. Flucht ist schmachvoll.«
»Wirklich? Schmachvoller, als sitzen zu bleiben, bis man ersäuft? «
»China ist anders, Mr. Groundwater. Unsere kulturelle Kontinuität reicht bis in die Bronzezeit zurück, wie sie in England genannt wird. Wir, unsere Vorfahren, haben schon viele Katastrophen überlebt, Brände, Überschwemmungen, Seuchen und Invasionen. Das, was China ausmacht, hat alles überstanden. Viele können nicht glauben, dass es diesmal nicht so sein wird, dass die Flut das Ende ist.«
»Aber Sie glauben es.«
»Ich bin Ingenieur, kein Klimatologe. Aber ja, ich verstehe genug von dieser Wissenschaft, um zu glauben, dass dies Chinas Ende ist, wie auch das Ende der ganzen Welt. Deshalb bin ich hier.«
Kenzie kam geschäftig herein.
Auf dem Rückweg zum Tisch fragte Patrick Liu: »Hoffen Sie noch, Ihre Frau eines Tages hierherbringen zu können?«
»Das ist ein Traum. Aber sie im großen Chaos der Flut zu finden, selbst wenn sie überlebt, und sie hierherzubringen – es ist vielleicht einfacher, zu den Sternen zu fliegen, Mr. Groundwater. «
10
Liu eröffnete die Diskussion über seine »Kategorie zwei«. Er zeigte ihnen Diagramme, Tabellen und künstlerische Darstellungen exotischer Welten.
»Wie viele andere Programme war auch die ›Planetensuche‹ – das heißt die Entdeckung und Erforschung von Planeten anderer Sterne mittels hochmoderner teleskopischer und fotografischer Techniken, auch mit Hilfe von Weltraumteleskopen – im Gefolge der Flut von erheblichen Kürzungen betroffen«, dozierte Liu. »Dennoch wurden schon vor der Flut etliche Hundert solcher ›Exoplaneten‹ gefunden, und inzwischen sind weitere hinzugekommen. Mehrere Dutzend von ihnen gleichen der Erde. Sie haben eine erdähnliche Masse und scheinen Meere aus Wasser zu besitzen …«
»Auf einigen davon gibt es Leben«, erklärte Jerzy Glemp mit einem Lächeln. »Das wissen wir von ihren atmosphärischen Signaturen –
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