Die Letzte Arche
Größe einer Hand. Unglaubliche Dinger.«
Thandie sagte: »Aber auch unter den Geschöpfen der Tiefsee gab es ein Artensterben. Die Tiefseegräben waren räumlich so strikt voneinander getrennt, dass jeder Graben seine eigene, einzigartige Fauna und Flora hatte. Als die Flut kam, sind diese Pflanzen und Tiere alle miteinander vermischt worden und in Konkurrenz zueinander geraten, und einige von ihnen sind dabei auf der Strecke geblieben.«
»Da draußen gibt’s Wesen, die im Holz bohren«, sagte Mel. »Venusmuscheln, Würmer, Krustentiere. Früher waren sie auf Holz von den Kontinenten angewiesen, das auf den Meeresboden gesunken war. Jetzt haben sie einen kompletten versunkenen Wald als Nahrung. Diese Kerlchen sind in einem Vielfraß-Himmel, überall um uns herum …«
Kelly fing Mikes Blick auf. In ihren Stahltanks auf dem Meeresgrund begraben, waren Mels Leute introvertiert und selbstbezogen geworden – fremdartig, selbst nach den Maßstäben von Sternenreisenden, die achtzehn Jahre in einem umgebauten Treibstofftank verbracht hatten. Kelly berührte Mel am Arm. »Vielleicht könnte ich jetzt meinen Vater sehen.«
Er schien zu sich zu kommen, als erwachte er aus einem Traum. »Verzeihung. Ja. Ich bringe dich zu ihm. Mal sehen, ob er schon aufgewacht ist.«
Sie gingen um die Rundung des kugelförmigen Tanks herum, vorbei an einem Fenster nach dem anderen, das den Blick auf die unendliche Dunkelheit des Ozeans freigab.
82
Edward Kenzie und seine Tochter trafen sich in einem Schutzraum, einer baulich verstärkten Kammer im Herzen eines Tanks, die offensichtlich als eine Art Sitzungssaal benutzt wurde; die Wände waren mit Holz vertäfelt, und ein großer, dreieckiger Tisch aus Kiefernholz beherrschte den Raum. Der Boden war sogar mit einem dickflorigen Teppichboden ausgelegt, in den das Erdkeil-Symbol der Arche Zwei eingewebt war.
Edward Kenzies schwerer Körper steckte in einem Rollstuhl, und sein völlig haarloser Kopf war von Leberflecken übersät. Er trug einen Anzug und eine stramm um den Hals sitzende Krawatte. Kelly durfte ihm einen Kuss auf die Wange geben, und er schaute auf seinen zweiten Enkel, Eddie, hinab. Nichts deutete darauf hin, dass er seine Töchter wiedererkannte, geschweige denn, dass er sich freute. Seine massige Präsenz im Rollstuhl machte Eddie Angst. Der Junge weinte und klammerte sich an seinen Vater, Masayo, den Edward als illegalen Enterer der Arche Eins gar nicht erst zur Kenntnis nahm.
Damit war das Familiäre abgehakt, und alle außer Kelly, Edward und Dexter mussten den Raum verlassen. Sie saßen einander jeweils in der Mitte einer der drei Seiten des Tisches gegenüber. Das Schweigen zog sich in die Länge.
»Ich komme mir vor, als stünde ich vor Gericht«, entfuhr es Kelly schließlich.
»Ha!«, blaffte Edward. »So hast du das schon immer gemacht. Als Erste das Wort ergreifen und die Kontrolle an sich reißen, stimmt’s? Nun, das hier ist kein Prozess. Aber ich will dir sagen, wem man einen machen sollte: deinem Freund da draußen und den anderen Illegalen, die den Kandidaten und anderen ihre rechtmäßigen Plätze auf der Arche Eins geraubt haben.«
»Masayo hat sich das nicht ausgesucht. Wie auch immer, was geschehen ist, ist geschehen, und selbst du und deine ganze Verbitterung können nichts mehr daran ändern, Dad.«
»Verbitterung? Glaubst du, darum geht es hier?«
»Womit wollt ihr anfangen?« Sie funkelte die beiden Männer an. »Dass ich dich im Stich gelassen habe, Dexter, indem ich in den Weltraum geflogen bin? Oder dass ich dich im Stich gelassen habe, Dad, indem ich zurückgekommen bin?«
Dexters Gesicht, in dem eher Verwirrung lag, war nun von Zorn gerötet. Kelly sah, dass er diese Situation in seiner Fantasie oft durchgespielt, dass er von einer Konfrontation mit der Mutter geträumt haben musste, die ihn verlassen hatte. Jetzt, wo sie hier war, fand er nicht die passenden Worte.
»Er hat seinen Vater verloren, weißt du«, sagte Edward. »Don Meisel ist in Alma gestorben, nachdem …«
»Ich weiß! Ich weiß.«
»Gut, dass ich da war, um den Jungen zu retten, findest du nicht?«
»Ach, halte mir keine Predigten, du alter Heuchler. Wenn ich mich nicht freiwillig wieder um die Aufnahme in den Auswahl-Pool beworben hätte, hättest du’s mir befohlen, und das weißt du auch. Es ging einzig und allein um die Mission. Immer. Ich war die beste Kandidatin, die sie hatten, ich habe jahrelang an der Spitze jeder Bewertungsskala gestanden.
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