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Die letzte Aussage

Die letzte Aussage

Titel: Die letzte Aussage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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jemals die ganze Wahrheit sein kann. Es gibt immer noch einen anderen Teil der Geschichte, etwas, das tiefer geht. Immer wieder finde ich neue Aspekte heraus, die genauso zum großen Ganzen gehören.
    Wer weiß, was es noch alles gibt?
    »Das war’s«, sage ich. »Das ist passiert. Mehr gibt’s nicht.«
    Sie blättern in ihren Akten und ziehen ein Foto heraus, von Arron in Unterhosen, auf denen die Narben auf seinen Beinen und seiner Brust und seinen Armen zu sehen sind. Ich soll ihnen diejenige zeigen, die ich gemacht habe, aber da bin ich mir nicht absolut sicher.
    Ich sehe in seine zornigen dunklen Augen, sehe seine lockigen Haare, das Gesicht, das ich besser als mein eigenes kenne. Ich weiß, warum ich ihn zum Freund haben wollte, aber was hat er von mir gehabt?
    Ich frage mich, ob er gedacht hat, er würde auf mich aufpassen, so wie ich auf Claire aufpassen wollte – natürlich nicht genau so, klar. Aber halt … so wie … Es ist einfach ein gutes Gefühl, zu wissen, dass es jemanden gibt, der schwächer ist als du. Basta.
    Sie nehmen das Foto wieder weg und sagen, dass sie bis morgen meine Aussage aufgesetzt haben. DI Morris meint, dass sie vielleicht noch weitere Befragungen mit mir durchführen müssen und sich die Befunde der Gerichtsmedizin noch einmal ansehen müssten, und als ich schon denke, jetzt ist alles vorbei, da gibt es noch etwas, das er mich fragen muss.
    In meinem Kopf herrscht absolute Leere. Ich kann mir nicht denken, was das sein soll.
    Dann zieht er einen Plastikbeutel aus seiner Aktentasche und legt ihn vor mich. Ich stoße ein leises, erstauntes »Oh!« aus, denn darin befindet sich etwas, das ich ganz vergessen hatte. Es ist das Schnappmesser. Das aus dem Bus. Das Messer, das ich im Park weggeworfen habe.
    Und schon geht es wieder los: Ob ich dieses Messer schon einmal gesehen habe? Wo ich es herhabe? Ob ich es benutzt habe? Warum ich vor der Polizei davongelaufen sei? Ob ich wisse, wieso meine Fingerabdrücke auf dem Messer und auf dem Abfalleimer zu finden sind?
    Mr Armstrong tut seine Pflicht, aber die Fragerei macht mir kaum etwas aus, weil es ja nicht mal mein Messer war, es hatte überhaupt nichts mit mir zu tun, und eigentlich bin ich ziemlich stolz darauf, wie verantwortungsvoll ich es entsorgt habe.
    Also beantworte ich alle ihre Fragen.
    Und DI Morris sagt, damit seien es schon zwei Fälle von Besitz einer Angriffswaffe, mit denen ich es zu tun habe, eine mögliche Anklage wegen schwerer Körperverletzung oder vielleicht sogar versuchten Mordes hinsichtlich Arron, dazu Behinderung der polizeilichen Ermittlungen.
    Mr Armstrong kritzelt in sein Notizbuch und sieht nicht sehr zufrieden aus.
    Dann sagt DI Morris, dass er mich jetzt festnehme. Im Zimmer ist kein Laut zu hören. Bis meine Mum mit zittriger Stimme fragt: »Wollen sie ihn … mitnehmen?«, und sie antworten, nein, das nicht, aber dass ich mich regelmäßig einmal im Monat bei einer Polizeiwache melden müsse, bis die Staatsanwaltschaft sich dem Fall widmet, und dass sie mit uns in Verbindung bleiben und uns mitteilen, was als Nächstes geschieht.
    Sie unterhalten sich noch eine Weile, und mir dämmert es von ganz alleine, dass das mit Frankreich wohl nichts wird.
    Die Bullen gehen wieder. Bis auf Mums ersticktes Schluchzen ist nichts zu hören. Ich strecke die Hand nach meinem Manga aus, aber meine Mum sitzt im Weg, und ich glaube nicht, dass ich sie jetzt bitten sollte, es mir zu geben.
    Mein Dad kommt wieder rein. Mr Armstrong erklärt ihm, was die Polizisten gesagt haben und was ich gesagt habe und wie es jetzt für mich ausgehen könnte – was sich als ziemlich lange Zeit in einer Jugendstrafanstalt herausstellt, wenn es hart auf hart kommt. »Natürlich istes möglich, dass sie ihn überhaupt nicht anklagen. Es hängt viel davon ab, was Arron zu sagen hat; es ist bemerkenswert, dass er bis jetzt noch keine Anschuldigungen gegenüber Tyler erhoben hat.«
    »Ich kann das alles nicht glauben«, murmelt meine Mum. »Seit Monaten haben wir alle unser Leben auf Eis gelegt. Der Vater meines Babys … ein völlig unschuldiger Mann … er … er ist tot – ein junger Mann, ein Unschuldiger. Mein Junge, mein Sohn … wäre fast gestorben. Und die reden davon, dass sie ihn anklagen wollen? Ihn ins Gefängnis stecken wollen? Die sollten sich was schämen.«
    »Das Problem ist, dass sie derlei Beweismaterial nicht einfach ignorieren können«, sagt Mr Armstrong. »Ich muss dich warnen, Tyler, wenn du bei Arrons

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