Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzte Aussage

Die letzte Aussage

Titel: Die letzte Aussage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
Vom Netzwerk:
vielleicht …«
    Gar nicht mal so schlecht? Vom undichten Fenster breitet sich ein gelber Fleck bis auf den Boden aus. Der Teppich ist voller Löcher und brauner Flecken und an den Rändern rollt er sich auf. Es riecht feucht und durch die Decke dröhnt ständig der Bass einer Musikanlage. Auf der Treppe liegen Nadeln und im Fahrstuhl ist getrocknete Kotze und Hundescheiße. Ich denke an den amerikanischen Kühlschrank und die Ledersofas bei meinem Dad. Eine Antwort kriegt er jedenfalls nicht.
    »Warum stehen hier zwei Betten?«, fragt er.
    »Bis vor Kurzem hat ein Bulle hier bei ihnen gewohnt«, antworte ich. »Jetzt ist er weg. Emma und Louise auch bald.«
    Emma geht wieder nach Spanien, um sich dort mit einem Typen zu treffen, den sie kennen gelernt hat, als die Polizei sie und Lou und Gran dort im Sommer hingebracht hat. Er heißt Carlos und hat eine Boutique in Marbella, und Em meint, er sieht aus wie Enrique Iglesias. Grässliche Vorstellung. Lou hat eine Stelle als Fachbereichsleiterin für Englisch an der British School in Taschkent. Das ist in Usbekistan. Vermutlich will sie so weit weg wie möglich, Mum und sie verstehen sich nicht gerade gut.
    Ich könnte mir vorstellen, sie dort irgendwann einmal zu besuchen. Momentan kann ich das vergessen. Obwohl ich jetzt einen Reisepass habe, lässt mich die Polizei auf keinen Fall außer Landes. Deshalb konzentriere ich mich darauf, bei GTA so weit wie möglich zu kommen, ehe sie mich ins Gefängnis stecken.
    Wahrscheinlich gibt es in der Jugendstrafanstalt keine Playstation. Der Gedanke daran macht mir ein bisschen Angst, also denke ich nicht oft daran.
    »Sie haben mir auch einen Polizisten gegeben, der mich beschützt«, sagt mein Dad, »zumindest bis Jukes White vor Gericht kommt. Sie halten die Gefahr momentan jedoch für ziemlich gering, weil sie fast alle seine Kumpels festgenommen haben. Tess und Lucy stehen auch unter Personenschutz. Das ist ganz schön nervig. Ich glaube, ich werde in der nächsten Zeit viel im Ausland arbeiten.«
    »Mhm, gut«, erwidere ich, springe und renne und – Zack! Bumm! – puste einen Rivalen weg. »Tut mir leid.«
    »Lucy hat gesagt, ich soll mich bei dir dafür bedanken, was du für sie getan hast«, sagt er. »Sie hält dich für sehr mutig.«
    »Hmm … ja …«
    »Ty, kannst du das mal ein paar Sekunden ausmachen?«
    »Ääh … ist grad schlecht …«
    »Ich habe ein Weihnachtsgeschenk für dich.«
    Herrgott noch mal! Sieht er denn nicht, dass ich beschäftigt bin? Warum legt er es nicht einfach irgendwohin, damit ich es später aufmachen kann? Ich hoffe nur, dass es ein echt gutes Geschenk ist. Schließlich hat er vierzehn Jahre ohne Geschenke gutzumachen. Widerwillig stelle ich das Spiel auf Pause.
    Er gibt mir das Geschenk. Ein Telefon. Ein Handy. Toll. Was für ein gigantisches Geschenk. Etwas, das ich als Grundversorgung haben sollte. Wer kriegt denn mit fünfzehn noch ein Handy als Weihnachtsgeschenk? Mit elf ist man da vielleicht noch völlig aus dem Häuschen! Außerdem kann ich jetzt sowieso nichts damit anfangen, weil ich keine Freunde habe und auch sonst niemanden anrufen darf. Es ist ungefähr so sinnlos wie die Sportsachen, die mir meine Mum geschenkt hat. Glaubt sie wirklich, dass ich in einer fremden Stadt Lauftraining mache, wo überall alles Mögliche auf mich lauern kann? Doch wohl eher nicht.
    Ich muss zugeben, dass er ein echt cooles Teil ausgesucht hat, das ziemlich viel kann.
    Aber meine Finger kribbeln, sie wollen unbedingt weiterspielen.
    »Danke«, sage ich.
    »Es ist ein Prepaid-Handy. Ich habe dir ein schönes Guthaben eingerichtet. Und ich habe ein paar Nummern eingespeichert. Der Akku ist aufgeladen. Das Gerät ist sofort einsatzbereit. Deine Nummer habe ich aufgeschrieben, hier ist sie …«
    »Danke«, sage ich noch einmal und drücke auf Play. Der Motor brüllt auf und ich rase durch die Straßen der Großstadt … Mein Gott! Er ist immer noch hier. Was will er denn noch?
    »Ty«, sagt er und zeigt auf die zugezogenen Vorhänge, die Klamotten auf dem Boden, die Schale mit den alten, halb aufgegessenen Frühstücksflocken, die neben mir vergammelt. »Meinst du nicht, dass du mit dem Spielen ein bisschen langsamer machen solltest? Nicki hat gesagt, dass du deine ganze Zeit hier drin verbringst.«
    »Ja, stimmt, nein«, sage ich.
    »Ty …« Aber ich bin schon wieder im Spiel, ich habe keine Zeit, ihm zuzuhören oder an etwas anderes zu denken als ans Überleben oder Töten und daran, mir einen

Weitere Kostenlose Bücher