Die letzte Aussage
mir gesagt, nachdem er weg war, und ich habe nur die Achseln gezuckt und wieder in das Heft geschaut und absichtlich weder an die Polizei noch an Mails noch an Parks und Messer gedacht.
Und jetzt sitzen wir hier mit DI Morris und DC Bettany und Pam, die mir erklären, dass alles, was ich sage, festgehalten und womöglich gegen mich verwendet werden kann, bla-bla-blubber-bla.
DI Morris erkundigt sich nach meiner Gesundheit. Er sagt, er freut sich, dass es mir besser geht. »Ich habe gehört, dass du sehr mutig gewesen bist.« Ich zucke die Achseln. Meine Aussage zu dem Überfall und dem Messerstich vor ein paar Tagen habe ich ihnen bereits geliefert – ein anderer Trupp Polizisten, wieder eine Geschichte, die ich unterschreiben musste. Jetzt versuche ich, sie zu vergessen. Gar nicht so einfach.
DI Morris erkundigt sich, wie es meiner Mum geht, wie es mit der Schwangerschaft läuft, wie sie klarkommt. So weit, so langweilig. Ich denke an angenehme Dinge, an Megs weiches Fell und dann an die Simpsons und an das Gefühl, wenn du am letzten Läufer zwischen dir und dem Ziel vorbeiziehst, wenn du genau weißt, dass du die Kraft hast, ihn zu schlagen.
Er redet davon, dass sie Jukes’ Vater festgenommen haben. Er sagt, dass viele seiner Kumpane ebenfalls in Untersuchungshaft sitzen, sie hätten gründlich aufgeräumt,sagt er. Sie sind der Meinung, dass es um meine Sicherheit jetzt sehr viel besser bestellt ist, ebenso um die von meinem Dad und seinen Mitbewohnerinnen, denn sie werden als Zeugen auftreten, wenn Jukes vor Gericht steht, weil er mit dem Messer auf mich losgegangen ist.
Leider glaube ich schon lange nicht mehr daran, was mir die Polizei erzählt. Und allem Anschein nach glaubt die Polizei auch mir nicht mehr so recht. Damit wären wir sozusagen quitt.
»Also«, fährt DI Morris fort, »ich muss dir etwas vorlesen, Ty, dann werde ich dir einige Fragen dazu stellen.« Er zieht ein Blatt Papier aus seiner Aktentasche.
»› Hallo Claire, meine Claire‹ «, liest er.
Ich stelle mir vor, ich bin in Grans Wohnung in London, wo ich einen Auflauf esse und mir die EastEnders im Fernsehen anschaue.
» ›Ich habe viel drüber nachgedacht, wieso wir uns so schnell so nah gekommen sind, aber ich kapiere es immer noch nicht. Eben noch war ich gemein zu dir – was mir, wie schon gesagt, echt leidtut – und wir haben uns gestritten, und im nächsten Augenblick habe ich diese unglaubliche Nähe und ein großes Vertrauen gespürt.‹«
DC Bettany hustet. Meine Mum fragt: »Was ist das?« Mr Armstrong flüstert ihr etwas ins Ohr, und ich glaube, er hat gesagt, sie soll still sein.
Ich stelle mir vor, dass ich DVDs mit Patrick ansehe und anschließend mit ihm darüber rede. Auf Französisch. Mit hervorragender Aussprache.
»Lassen Sie mich bitte zu Ende lesen, Miss Lewis«, sagtDI Morris. »Dann sehen Sie schon, wieso das wichtig ist. Wo war ich? Ach ja, ›Das wird immer so sein, auch wenn du nie wieder mit mir reden willst, wenn ich dir das hier erzähle. Ich muss ehrlich zu dir sein. Denn darum geht es zwischen uns beiden.‹ «
Meine Mum will meine Hand nehmen. Ich schiebe sie weg und ziehe die Schultern hoch. Auf der Innenseite meiner Wangen ist ein dicker fleischiger Knubbel, auf den beiße ich ganz fest. Niemand kann es sehen.
»›Ich bin ein Lügner, Claire‹«, sagt DI Morris, und meine Mum hält erschrocken die Luft an, »›ich lüge die Polizei an, und wenn ich als Zeuge vor Gericht aussage, werde ich auch lügen. Aber ich bin nicht nur ein Lügner, sondern ich habe etwas ganz Schlimmes getan. Ich habe jemanden verletzt. Das habe ich noch keinem gestanden.‹«
Ich versuche mich krampfhaft daran zu erinnern, welche Farbe die Wände in meinem Zimmer in unserer alten Wohnung in Hackney hatten. Ich weiß, dass sie blau waren, aber was für ein Blau? Ich sehe noch die ganzen Farbprobestreifen übereinander an der Wand, aber ich weiß nicht mehr, welche wir letztendlich genommen haben. Mir wird schlecht. Wie kann ich das nur vergessen haben?
»›Was du damit anfängst, ist deine Entscheidung‹« , sagt DI Morris. »›Du kannst mir Fragen stellen, ich will alle beantworten. Ich will dir alles erzählen. Vielleicht kannst du ja verstehen, warum ich es getan habe, und mir vergeben.‹«
Ich denke daran, wie meine Mum gesagt hat: »Eine eurer Sitzungen in der Priory.« Mir fällt ein, wie ich einmal, noch früh am Morgen, in Mr Patels Zeitungsladenauf die Schlagzeilen der News of the World geschaut
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