Die letzte Aussage
Ruf in Verbrecherkreisen aufzubauen, und das ist völlig in Ordnung, es ist sicher, weil es nicht echt ist. Gott sei Dank ist es nicht echt.
Ich glaube, ich will überhaupt nichts mehr machen, was irgendetwas mit der Wirklichkeit zu tun hat.
Später dann, nachdem er weg ist und meine Mum darauf bestanden hat, dass ich ausschalte und ins Bett gehe,liege ich in der Dunkelheit und warte darauf, dass sich die anderen schlafen legen, damit ich wieder einschalten kann. Ich nehme mein neues Handy und sehe nach, welche Nummern er eingegeben hat: seine eigene, die von Patrick und Helen, die von Archie. Patrick hat mich ein paarmal angerufen, seit wir hier wohnen, aber ich habe nicht mit ihm geredet. Ich war zu beschäftigt, zu konzentriert. Ich weiß auch nicht, was er zu dem Polizeikram sagt, aber ich bin sicher, dass ich es gar nicht wissen will.
Vielleicht sollte ich sie anrufen und ihnen frohe Weihnachten wünschen; vielleicht kann ich ausmachen, dass ich sie besuchen komme und mit Meg spazieren gehe.
Aber vielleicht wollen sie gar nichts mehr mit mir zu tun haben. Vielleicht hat mich Patrick deshalb angerufen. Außerdem haben sie keine Playstation. Ich rufe sie nicht an. Stattdessen rufe ich bei der Auskunft an. Ich lasse mir Claires Nummer geben und wähle sie gleich anschließend.
Claires Mum ist dran. Mit der komme ich überhaupt nicht klar. »Kann ich bitte mit Ellie sprechen?«, sage ich mit aufgesetztem Birmingham-Akzent, obwohl das die erste Sprache ist, die mich überhaupt nicht interessiert. »Ich … sagen Sie ihr … Brian ruft an.« Ich höre Ellies Stimme im Hintergrund. »Welcher Brian?«, will sie wissen. »Wer ruft an Weihnachten abends um elf an?«
Dann nimmt sie den Hörer. Ihre Stimme ist deutlich und fröhlich und kräftig. Mich befällt ganz plötzlich ein Hauch von Sehnsucht, nach den Tagen, als Ellie mich trainiert hat und ich nur tun musste, was sie mir gesagthat, und dann lief alles gut. Als ich noch Joe war. Es ist ein ganzes Leben her.
»Hallo?«, sagt sie.
»Ellie«, murmele ich. »Ich bin’s, Joe.« Meine Stimme hört sich an wie ein Krächzen. In letzter Zeit habe ich sie nicht viel benutzt.
»Ach du Schreck«, sagt sie. »Was ist denn? Warum wolltest du denn mit mir reden? Was ist mit –«
Ich falle ihr ins Wort, bevor sie Claires Namen aussprechen kann.
»Ich wollte dir nur etwas sagen«, raune ich. »Ich glaube, Claire ritzt sich wieder.« Dann lege ich auf. Einfach so. Ich liege im Dunkeln und weiß, dass Claire nie wieder mit mir spricht.
Nach ungefähr einer halben Stunde stehe ich auf und spiele wieder GTA . Level 16. Ich höre erst auf, als mein Kopf so voller Autos und Pistolen und Zuhälter ist, dass ich mich beruhigt schlafen legen kann.
Als ich aufwache, liege ich wie zerknüllt unter meiner Decke. Die Uhr zeigt 11:30 an. Das ist merkwürdig. Normalerweise lassen sie mich nicht so lange schlafen.
Ich schwinge die Beine aus dem Bett und erstarre. Wäre ich in einem Zeichentrickfilm, würden mir die Augen aus dem Kopf treten und mein Unterkiefer würde auf den Boden knallen.
Sie sind weg. Mein Fernseher, meine Konsole, alle meine Spiele. Weg. Verschwunden. Wir sind über Nacht ausgeraubt worden.
So schnell habe ich mich schon ewig nicht mehr bewegt.Ich renne aus meinem Zimmer ins Wohnzimmer, das auch als Küche dient. Gott sei Dank ist meine Mum noch da. Zum Glück scheint ihr nichts passiert zu sein. Aber wo ist Gran? Wo sind meine Tanten?
»Mum … Mum, wir sind ausgeraubt worden … Jemand hat unsere Sachen geklaut. Ist mit Gran alles in Ordnung? Ihr ist doch … oh Gott, hoffentlich ist ihr nichts passiert!«
Sie sitzt einfach da und trinkt Kaffee, als sei überhaupt nichts passiert. Sie lächelt nicht mal. Ich versuche es noch einmal: »Mum … Nic … Meine Sachen sind geklaut worden. Sie haben meine Playstation und den Fernseher und die Spiele mitgenommen … alle …«
»Ty, mein Liebling, du musst dich jetzt anziehen«, sagt sie. »Es ist ein bisschen zu kalt, um in Unterhosen herumzulaufen.«
Allmählich dämmert mir, was passiert ist. Wir sind nicht ausgeraubt worden … jedenfalls nicht von Einbrechern … sondern … sie haben … »Ihr seid das gewesen, stimmt’s?«, schreie ich sie an. »Ihr habt die Sachen geklaut! Wo sind sie? Wo sind sie?«
»Es hat keinen Sinn, dass du dich so aufregst«, erwidert sie. »Beruhige dich.«
»Ihr habt kein Recht dazu. Überhaupt nicht! Das waren meine Sachen. Sie haben sie mir geschenkt. Das ist … das ist
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