Die letzte Aussage
fühle mich unwohl und immer noch angeschlagen. Egal. Ich laufe weiter.
Eine dunkelgraue Wolke schiebt sich über den Himmel. Sie scheint immer tiefer herabzusinken, bis sie fast auf meinen Kopf drückt. Donner grollt wie ein Pitbull, dann klatscht ein Regentropfen auf meine Haare. Ichziehe die Kapuze über, aber es ist hoffnunglos; der Regen wird rasch stärker, es ist fast so, als stünde ich in einer Autowaschanlage auf dem Laufband. Wasser rinnt mir übers Gesicht, meine Schuhe saugen sich voll, ich bin nass bis auf die Unterhose. Egal. Ich laufe weiter.
Von der Straße geht ein Weg ab, der irgendwo in die Felder führt. Dort ist es ungefährlicher, denke ich, und schon laufe ich an Kühen und Traktoren vorüber, die Schuhe schmatzen im feuchten Lehm und in Kuhscheiße, und alles riecht irgendwie ganz ekelhaft. Anscheinend hat mich was gestochen, denn mein Gesicht fängt fürchterlich an zu jucken. Meine Jeans sind schwer vom Regen und kleben an den Beinen. Es gießt immer noch wie aus Kübeln. Aber das Laufen tut richtig gut. Wenn ich nur wüsste, wo ich eigentlich hinlaufe.
Meine Jeans sind so schwer, dass ich den Laufrhythmus verliere, über eine Lehmfurche stolpere und Platsch! in eine große Pfütze falle. Ich bin so nass, dass es ohnehin keinen großen Unterschied macht – abgesehen davon, dass ich jetzt auch noch dreckig bin und nach Gott weiß was stinke. Manche Leute fahren ja freiwillig raus aufs Land; keine Ahnung, warum.
Ich rappele mich auf und laufe weiter. Jetzt habe ich das Feld hinter mir gelassen und komme in ein Waldgebiet. Es wird schon langsam dunkel und der Weg verliert sich allmählich. Mir doch egal. Ich laufe durch Brombeergestrüpp, streife Zweige beiseite, werde von Stechpalmen gekratzt und dabei immer noch nasser, weil der Regen kein bisschen nachlässt.
Dann stolpere ich gegen ein hartes Stück Holz, mein Knöchel verdreht sich, und ich stürze kopfüber in Grünzeug, das mich pikst und meine Haut aufreißt. Ich rolle zur Seite und der Schmerz in meinem Knöchel fühlt sich wie ein Messerstich an.
»Aaah«, stöhne ich laut, als ich aufstehen will, aber mein Knöchel trägt das Gewicht nicht mehr und ich breche wieder zusammen.
Ich liege in einer stinkenden Schlammpfütze, umgeben von Bäumen, irgendwo am Arsch der Welt. Meine Haut brennt, ich kratze heftig, weil ich will, dass dieses Jucken aufhört, mache es dadurch aber nur noch schlimmer, und mein Knöchel ist vielleicht sogar gebrochen. Ich habe keine Ahnung, wie mich hier jemand finden soll, und wenn ich Pech habe, kann ich nie wieder laufen. Ebenso gut könnte ich hier im Wald einfach sterben.
Mir ist schwindelig vor Anstrengung, jemand steckt in meinem Schädel und versucht wie besessen, daraus auszubrechen. Die Kälte und die Nässe und der Schmerz halten mich wach, was gut ist, wie ich mir benommen klarmache. Es wäre keine gute Idee, hier einzuschlafen. Nicht bei dieser Kälte und der einbrechenden Dunkelheit.
Ich überlege gerade, ob ich es mit Kriechen versuchen soll, hebe den Kopf an und – kriege fast einen Herzschlag.
Vor mir stehen zwei schweigende Gestalten. Eine davon hat ein Messer in der Hand.
Kapitel 9
Rio
Kaum vorzustellen, dass sich jemand freut, wenn er ein Gespenst sieht. Aber als ich erkenne, dass einer der beiden Typen Alistair ist, seufze ich erleichtert auf. Der andere ist kleiner, das Gesicht ist im Schatten seiner Kapuze verborgen. Ich sehe nur die Klinge seines Messers vor seinen dunklen Klamotten glitzern. Wer ist das? Ist er echt oder auch ein Gespenst? Dann tropft Blut neben mir in den Matsch und mit einem Mal ist alles wieder da.
Rio. Der Junge, der im Park erstochen wurde. Der Junge, den mein Freund Arron vor vielen Monaten abziehen wollte, der Junge, der sein eigenes Messer gezogen hat, anstatt einfach Arron seinen iPod zu geben, der Junge, der am Ende so tot wie ein Dinosaurier war.
Rio, dessen arme Eltern im Fernsehen geweint und mögliche Zeugen angefleht haben, sich zu melden. Insbesondere den Jungen, der den Krankenwagen gerufen hat. Dieser Junge war ich.
Wegen Rio bin ich jetzt im Zeugenschutzprogramm. Was Rios Tod angeht, habe ich die Wahrheit gesagt. Nur bei der anderen Sache habe ich gelogen. Der Sache, als ich Arron mit dem Messer verletzt habe.
»Du bist bestimmt Ty«, sagt er. »Hab schon von dir gehört.«
Meine Lippen bewegen sich, aber es kommt kein Wort heraus. Dann erinnere ich mich an die Fotos, die mir die Polizei von Rios Leiche gezeigt hat. Mit den Wunden
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