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Die letzte Aussage

Die letzte Aussage

Titel: Die letzte Aussage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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mal auf einer katholischen Schule gewesen?«
    Er schüttelt finster den Kopf. Seine übliche nervtötende Aufgedrehtheit scheint wie ausgeschaltet zu sein.
    »Die Mönche dort prügeln einen jeden Tag durch«, fahre ich genüsslich fort. »Wegen der kleinsten Sachen. Sie prügeln dich, bis dir das Blut an den Beinen runterläuft. Und morgens um sechs musst du aufstehen und beten … stundenlang …«
    »Das glaub ich dir nicht«, sagt Archie. »Das ist garantiert nicht erlaubt. Meine Eltern würden mich jedenfallsnie auf so eine Schule schicken. Mein Dad ist nicht mal katholisch.«
    Er hört sich nicht sehr überzeugt an. Also setze ich noch eins drauf: »Das ist denen doch egal. Da musst du wahrscheinlich sogar noch mehr beten als die anderen, um die Sache auszugleichen. Die haben es auf deine Seele abgesehen … ganz zu schweigen von deinem Körper …«
    Normalerweise hätte jeder geschnallt, dass ich nur Quatsch mache. Aber Archie sieht mich an, als würde er jeden Augenblick in Tränen ausbrechen.
    »W-was meinst du damit?«
    »Tja, diese Mönche, denen ist ja Sex verboten, das weißt du doch. Und dann sehen sie so einen hübschen Jungen wie dich und … drücken wir’s mal so aus: Du kriegst bestimmt nicht viel Schlaf dort … Du musst rund um die Uhr auf der Hut sein. Ein paar von diesen Mönchen sind echt groß und ganz schön kräftig.«
    Archie blinzelt. Er setzt sich ans Fußende des Bettes und zieht sich die Schuhe an. Mir fällt auf, dass er den Kopf länger gesenkt hält als notwendig. Ich muss heimlich kichern. Genau so habe ich mir das vorgestellt.
    Dann hebt er den Kopf und sagt: »Ty … was du da eben gesagt hast … das stimmt doch nicht, oder?« Ich sehe, dass er echt Schiss hat und die Tränen aus seinen Augen kullern.
    Also sage ich: »Ach was … wahrscheinlich ist dort alles super. Ich wollte dich nur aufziehen.«
    »Ach so. Ich … ich will nämlich nicht wieder aufs Internat.«Er seufzt tief. »Ich dachte, die Sache hätte sich erledigt, nachdem ich aus dem letzten rausgeflogen bin.«
    »Warum sagst du das nicht deinen Eltern?«
    »Hab ich schon. Aber sie sind beide oft weg. Sie sind der Meinung, dass es nicht gut ist, wenn sie mich mit einem Au-pair-Mädchen allein zu Hause lassen.«
    »Aha. Kannst du sie nicht noch mal fragen?«
    »Sie sind so oft weg.«
    »Sprich mit Patrick im Auto darüber.« Patrick kommt mir vor wie jemand, den man im Ernstfall gerne auf seiner Seite hat.
    »Ich weiß nicht. Großvater mag mich nicht besonders.«
    Was ihm keiner so recht verübeln kann. Ich beiße mir auf die Zunge. »Versuch’s wenigstens. Oder beschimpf den Rektor in der Schule. Sorg dafür, dass sie dich nicht nehmen. Viel Glück.«
    Als ich wieder allein bin, überlege ich, ob ich weiter Bücher abstauben soll. Aber vielleicht sollte ich mich dem Staub nicht allzu intensiv aussetzen. Helen ruft von unten. Ich gehe widerwillig hinunter und finde sie in der Küche.
    »Sie sind weg«, sagt sie. »Ich dachte, jetzt haben wir mal Gelegenheit, uns in aller Ruhe zu unterhalten. Darüber, wie es hier so für dich läuft … wir haben ja kaum miteinander reden können. Ach, und ich wollte dir noch sagen, dass du bei den Mathe-Aufgaben heute richtig gut warst. Sehr schön. Da machen wir morgen gleich weiter.«
    Sie ist immer nett zu mir. Wenn ich Krach mit Archiehabe, versucht sie jedes Mal, auch meine Seite zu sehen. Nur manchmal, wenn sie mich anschaut … kommt es mir vor, als würde sie jemand anderen sehen. Jemanden, um den sie sich richtig Sorgen macht. Irgendwie ein unheimliches Gefühl.
    Meg schmiegt sich an meine Beine. Ich bücke mich und streichle sie. »Eigentlich … äh … läuft alles ganz gut«, sage ich vorsichtig.
    Sie lacht. »Du bist ein so stilles Baby gewesen. Ich hätte mir denken können, dass du dich in der Zwischenzeit verändert hast. In gewisser Hinsicht tut es gut zu sehen, dass du dich mit Archie streitest. Wir haben schon befürchtet, du würdest immer ein schüchterner, nervöser kleiner Knirps bleiben.«
    Aha. Sie redet wieder Unsinn. Allem Anschein nach sind sie und Patrick ziemlich durcheinander. Sie haben oft auf Archie aufpassen müssen und jetzt verwechseln sie ihn ständig mit mir. Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass er jemals schüchtern gewesen ist.
    Vermutlich liegt es daran, dass sie schon alt sind, vielleicht haben sie auch ein schlechtes Gewissen, weil sie sich nie um mich gekümmert haben. Deshalb haben sie irgendwelche Geschichten erfunden, an die

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