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Die letzte Aussage

Die letzte Aussage

Titel: Die letzte Aussage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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hat.«
    »Echt?«
    »Warst du im Krieg?«, fragt er hoffnungsfroh.
    »Genau, Archie, ich bin frisch zurück aus Afghanistan.«
    » Echt jetzt?«
    »Nein, du Blödmann, natürlich nicht.«
    Ich löse meinen Blick von Harry Potter, der sich gerade mit einem Typen mit zerschmolzenem Gesicht anlegt. Patrick hat die DVDs ausgesucht, eine ziemlich bunte Mischung, aber es sind auch einige auf Französisch dabei, was ich ziemlich cool finde. Die meisten anderensind eher was für kleinere Kinder. Aber Archie und ich haben beschlossen, dass wir uns einige Harry Potters noch einmal zusammen anschauen, weil es die reinste Verschwendung ist, sich neue Filme anzuschauen, wenn man krank ist und sich sowieso nicht richtig konzentrieren kann, und eigentlich sind die ja auch richtig gut.
    Ich habe strikt gegen Thriller gestimmt. Ich will mir nicht ansehen, wie Leute erschossen werden. Ich kann fast nichts sehen, was auch nur annähernd realistisch ist. Archie hält mich garantiert für eine ausgemachte Memme.
    Ich schiele zum Computer rüber. Google verzeichnet ungefähr eine Million Einträge.
    »Also«, sagt Archie. »Halt dich fest. Jetzt kommen die Symptome: Erinnerungsschübe, Albträume, Angstzustände. Zittern. Schweißausbrüche. Nicht bereit, über den Vorfall zu reden. Erstarrungszustände. Betroffene fühlen sich von anderen Menschen entfremdet. Gedächtnisverlust. Todesangst. Verlust der Lebensfreude. Schlafprobleme. Wutausbrüche. Ja, ich glaube, diesen Punkt hast du erfüllt. Hypersensibilität gegenüber möglichen Gefahren. Und dann noch etwas namens ›Kampf-oder-Flucht-Reaktion‹.«
    Das meiste davon kommt mir bekannt vor. »Was ist denn Kampf-oder-Flucht-Reaktion?«, frage ich ihn. Heißt das, dass ich unvermittelt auf Leute einschlage und dann abhaue?
    »Moment, ich bin noch nicht fertig. Tiefgreifende Verhaltensprobleme. Alkoholmissbrauch. Drogenabhängigkeit.« Er sieht mich bedeutungsvoll an. Archie glaubt immernoch, ich hätte mich rausgeschlichen, um Gras zu rauchen; er weigert sich einfach, den Krankenhaustests zu glauben, die beweisen, dass ich absolut clean war.
    »War’s das jetzt?« Es hört sich an, als hätte ein Arzt wahllos eine Liste mit schlimmen Eigenschaften zusammengestellt, um mich damit zu erschrecken.
    »Beziehungsunfähigkeit, Scheidungen, schwere Depression, Angststörungen oder Phobien, Kopfschmerzen, Magenverstimmungen, Schwindelgefühl, Brustschmerzen und allgemeine körperliche Schmerzen. Dazu ein geschwächtes Immunsystem und Probleme am Arbeitsplatz.«
    »Aha. Na, wenigstens habe ich keine Probleme am Arbeitsplatz.«
    »Du hast doch gar keine Arbeit, oder?«, fragt er und tippt schon wieder etwas in die Suchmaschine. Ich muss daran denken, dass Joe Andrews nicht nur einmal, sondern gleich zweimal von der Schule suspendiert wurde.
    »Kampf-oder-Flucht-Reaktion. He, das ist ja interessant. Das hat etwas damit zu tun, wie unser Körper darauf programmiert ist, mit Säbelzahntigern umzugehen.«
    »Womit?«
    »Ob man eher kämpft oder lieber die Flucht ergreift. Im Körper werden jede Menge Chemikalien und so ’n Zeug produziert. Aber wenn man weder kämpfen noch wegrennen kann, wird man aggressiv, überdreht und hyperaktiv.« Er klickt ein paar Seiten weiter. »In diesem Artikel hier steht: ›Die Angst wird übersteigert und das Denken verzerrt sich. Alles wird durch den Filter einer möglichen Gefahr gesehen.‹ Man baut jede Menge Stress auf und derbringt dann alle deine Hormone durcheinander. Das wiederum verursacht oft –« Er fängt an zu kichern. »Erektionsprobleme, Verstopfung und Schwierigkeiten beim Urinieren.«
    Ich verpasse ihm einen leichten Schlag auf den Hinterkopf. »Jaja. Zum Glück muss ich sehr oft kämpfen und weglaufen.«
    »Kommt mir ganz so vor, als geht es letztendlich darum, dass einen schreckliche Erlebnisse durchdrehen lassen«, meint Archie fröhlich.
    »Ja, so ungefähr.«
    Wir sind in den letzten Tagen ganz gut miteinander ausgekommen. Er ist schwer beeindruckt von mir, weil er glaubt, ich sei ein verrücktes Drogenopfer, und hat freiwillig das Bett mit mir getauscht, damit ich mich nicht irgendwann aus der oberen Etage des Stockbetts runterstürze. Dass wir einen Fernseher, einen Stapel DVDs, Energydrinks, zwei Schachteln Pralinen und eine ganze Schale voller Obst hier oben haben, hat unserem Verhältnis zueinander offensichtlich auch ganz gutgetan.
    Gestern Abend hat Patrick einen der französischen Filme mit uns angeschaut, eine Komödie. Hinterher

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