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Die letzte Aussage

Die letzte Aussage

Titel: Die letzte Aussage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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Rest auch stimmen. Ich denke an das letzte Mal, als ich sie gesehen habe – ganz blass und süß, da hat sie ausgesehen, als wäre sie zehn Jahre alt, in ihrem Nachthemd, und ihre seidigen mausfarbenen Haare sind ihr über das zarte Gesicht gefallen. Ich muss seufzen. Sie fehlt mir sehr.
    »Und hast du … du weißt schon …?«
    »Na ja, damals, natürlich, du weißt ja …« Ich unterbreche an der richtigen Stelle, damit er denkt, ich hätte es schon mit Hunderten von Mädchen getrieben. »Es sind einfach zu viele gewesen. Aber Claire ist anders. Wir gehen alles ganz langsam an, genießen einen Schritt nach dem anderen.« Ich fahre mir anzüglich mit der Zunge über die Lippen. Er schaut mich ganz ehrfürchtig an.
    »Wie steht’s mit dir, Archie?«, frage ich. »Gibt’s in deinem Leben irgendwelche Frauen?«
    »Wenn ich diese faszinierende Unterhaltung kurz unterbrechen dürfte«, ertönt eine Stimme von der Tür. Verdammt. Es ist Patrick. Wie viel hat er mitgekriegt? »Ty, kommst du bitte mal runter? Es ist jemand für dich da.«
    »Hä?«
    »Louise –«, sagt er, aber ich kann nicht länger warten und sause so schnell wie möglich mit meinem wehen Fuß die Treppe runter. Archie ist dicht hinter mir und auch Meg springt hinter uns her, bellt fröhlich und ich platze ins Wohnzimmer. Dann bleibe ich stehen.
    Louise sitzt mit meinem Dad auf dem Sofa, beide sehen mich verlegen und ein wenig angesäuert an.
    Aber ich erwidere ihre Blicke nicht. Am Klavier steht noch jemand. Sie betrachtet die silbergerahmten Fotos und ist in eine Zigarettenwolke gehüllt. Jemand, der zu mir herüberschaut, als ich durch die Tür komme, jemand, der mir einen Blick voller Zorn und Hass entgegenschleudert.
    »Hallo, Liebling«, sagt meine Mum.

Kapitel 12
Kriegsfilm
    »Na, keine Umarmung?«, fragt sie, aber ich weiß, dass sie es bloß sagt, weil die anderen alle dabei sind. Mir bleibt nichts übrig, als zu ihr zu gehen und sie ein bisschen verlegen zu umarmen. Sie hat immer noch die brennende Kippe in der Hand und die Asche fällt auf Helens cremefarbenen Teppich. Ich versuche, an ihrem mageren Körper irgendwelche Anzeichen für ein Brüderchen oder Schwesterchen festzustellen. Ich glaube, sie hat obenherum ein bisschen zugelegt, aber nicht sehr auffällig.
    Dann fragt sie mich, wo wir uns unter vier Augen unterhalten können. Ich will gerade die Küche vorschlagen, da sagt mein Dad: »Hör mal, Nicki, wir sollten uns alle hier zusammensetzen und gemeinsam über Tys Zukunft reden, und zwar sowohl die kurzfristige als auch die langfristige.«
    Das ist ziemlich mutig von ihm, denn sie funkelt ihn so böse an, als spielten sie in einem Kriegsfilm: sie bei der Gestapo und er ein Widerstandskämpfer, den sie gerade dazu verurteilt hat, dass er im Morgengrauen erschossen wird.
    »Mit dir habe ich nicht geredet«, sagt sie.
    »Ähmm … komm, Nic, wir gehen kurz in die Küche«, sage ich nervös und ziehe sie am Arm. Aber Lou sagt: »Schon gut, Ty, wir gehen alle in die Küche, dann kannst du dich mit Nicki hier unterhalten.« Sie steht auf und kurz darauf auch mein Dad. Am liebsten würde ich sie bitten, hier bei mir zu bleiben, aber es gelingt mir, den Mund zu halten. Archie folgt ihnen, nachdem er meiner Mum noch einen langen Blick zugeworfen hat, dann macht er die Tür hinter sich zu. Meg hat sich vor dem Kamin zusammengerollt, ein Auge ist geschlossen und mit dem anderen fixiert sie meine Mum.
    Mum sitzt auf dem Sofa und ich hocke mich neben Meg auf den Boden. Es ist beruhigend, jemanden auf meiner Seite zu wissen.
    »Also«, sagt sie, immer noch total im Gestapo-Modus. »Du scheinst dich hier ja gut eingelebt zu haben.« Ihr Blick streift über meinen Kapuzenpulli von Gap und die brandneuen Jeans von Abercrombie & Fitch , die mir Helen gestern mitgebracht hat. »Wie ich sehe, haben sie dich gekauft.«
    Ja, sie sagt nicht, dass sie mir »jede Menge neue Klamotten« oder »schöne Anziehsachen« gekauft haben – nein, sie haben mich gekauft. So einfach lasse ich mich also kaufen. In den Augen meiner eigenen Mutter. Das tut weh. Aber sie ist nicht die Einzige, die fies sein kann.
    »Darfst du eigentlich rauchen?«, erkundige ich mich. »Ich meine … in deinem … ähm … Zustand.«
    »Das geht dich nichts an«, sagt sie und drückt ihre Zigarette im Topf von Helens Lieblingsorchidee aus. Dannzündet sie sich die nächste an. Ich frage mich, ob sie überhaupt noch schwanger ist. Vielleicht war sie in der Kindermörderklinik.

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