Die letzte Chance - Final Jeopardy
mit dem Krankenwagen zwischen der Unfallstätte und nahegelegenen Krankenhäusern hin und her zu fahren. Er konnte zwar den 18 Männern und Frauen, die im Club umgekommen waren, nicht mehr helfen, aber zig Menschenleben retten und Dutzende von Menschen beruhigen, die durch Rauch und Angst unter Schock standen. Die ungeübte freiwillige Helferin, die stundenlang an seiner Seite tätig war, gehörte zu den wenigen Glücklichen, die dem Montparnasse unversehrt entkommen waren. In dieser Nacht erfuhr er nur ihren Vornamen - Maude -, aber er war von ihrer Unerschrockenheit und ihrer sanften Art ebenso beeindruckt wie von ihrem strahlenden Lächeln, ihren grünen Augen und ihren wunderbaren langen Beinen, auf denen sie verschwand, als der Krankenwagen seine letzten beiden Patienten im New York Hospital ablieferte. Wenn er die Geschichte jener
Nacht später erzählte, pflegte er stets zu sagen, es habe nur eine einzige Möglichkeit gegeben, die grausigen Bilder der Verletzten wieder loszuwerden - indem er meine Mutter vor sich sah, wie sie ihm gegenüber die ganze Nacht im Krankenwagen gesessen und die Hände der Patienten gehalten habe, um die er sich bemühte, und dann seien die Alpträume verflogen.
Zwei Wochen danach, als die Illustrierte Life die Geschichte über das Feuer und die Rettung gebracht hatte, rief meine Mutter an, um dem jungen Arzt zu danken, dessen Name unter einem der Fotos mit den HELDEN DES VERWÜSTETEN JAZZCLUBS stand: Benjamin Cooper. Sie hatte ihn schon davor ausfindig zu machen versucht und nur gewußt, daß seine Freunde ihn in der Feuersnacht »Bones« riefen. Sie hatte angenommen, dies sei ein Medizinerspitzname gewesen, der etwas mit einer orthopädischen Besonderheit zu tun habe, und daher hatte sie bei dieser Fachabteilung an mehreren Krankenhäusern angerufen - aber ohne Erfolg. Als sie ihn schließlich erreichte und er sich mit ihr zum Abendessen verabredete, mußte sie lachen, als sie erfuhr, daß seine Großmutter ihn als Kind auf jiddisch so genannt hatte, weil er so dünn gewesen war - nichts als Haut und Knochen.
Ein Jahr später heirateten sie, und mein Vater machte seinen Facharzt als Kardiologe. Ich war zwölf Jahre alt, als er und sein Partner die sogenannte Cooper-Hoffman-Klappe erfanden, ein halbzölliges Stück Kunststoffrohr, das unser angenehmes Vorstadtleben genauso veränderte wie die Bypass-Chirurgie. Im nächsten Jahrzehnt gab es in Nordamerika kaum eine entsprechende Operation, die ohne den Einsatz einer Cooper-Hoffman-Klappe auskam, und obwohl sich mein Vater auch weiterhin der lebensrettenden Chirurgie widmete, die er als so lohnend empfand, vermittelten die Einkünfte, die er dank des Vertriebs der Klappe anhäufte - und die mündelsicheren Papiere, die dadurch für meine Brüder und mich angelegt werden konnten -, jedem von uns die unschätzbare Freiheit, die eigenen Träume und Karrierevorstellungen zu verwirklichen. Ich wollte unbedingt in den öffentlichen Dienst und mir zugleich den Luxus eines Lebensstils leisten können, der zwar den meisten meiner Kollegen verwehrt war, aber mir sehr dabei half, die erbarmungslose Intensität meines Spezialgebiets besser zu ertragen.
Vor vier Jahren war es meiner Mutter gelungen, meinen Vater zur Aufgabe seiner Praxis als Herzchirurg zu bewegen. Sie verkauften das Haus in Harrison, hielten sich eine Eigentumswohnung in Aspen, um ihren Söhnen und Enkeln im Westen nahe zu sein, und übersiedelten auf eine herrliche Karibikinsel namens St. Barth’s. Wenn sie nicht gerade auf Reisen waren und Ben an medizinischen Fakultäten auf der ganzen Welt Vorlesungen hielt, beschäftigten sie sich in erster Linie damit, ihr Französisch zu verbessern, all die Bücher zu lesen, zu denen ich anscheinend niemals kommen würde, und sich bekümmert zu fragen, warum ihre Tochter noch immer Single war und sich damit zufriedengab, ständig von sexueller Gewalt umgeben zu sein. Mike war meinen Eltern schon viele Male begegnet und wußte genau, wovon ich sprach. »Vielleicht haben sie ja recht, Alex. Du kannst doch Staatsanwältin bleiben und dich mit anderen Dingen abgeben - Betrügereien, organisiertem Verbrechen, Drogenkartellen.«
»Nichts für mich. Weißt du, was ich daran so liebe? Die meisten Frauen, die einen sexuellen Übergriff überleben, erwarten von der Strafrechtspflege nicht, daß ihnen irgendeine Art von Gerechtigkeit widerfahren wird. Sie bezweifeln, daß der Vergewaltiger gefaßt wird, und von Romanen und Fernsehspielen her
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