Die letzte Chance - Final Jeopardy
wissen sie, daß er selbst in diesem unwahrscheinlichen Fall nie verurteilt wird. Es ist großartig, dazu beizutragen, daß sich dies ändert, daß das System in diesen Fällen funktioniert, daß diese Bastarde aus dem Verkehr gezogen werden. Und das ist auch noch so neu. Noch vor zwanzig Jahren gab es in diesem Land Gesetze, die buchstäblich besagten, daß die Aussage einer Frau in einem Vergewaltigungsfall als Beweis nicht ausreiche, ihren Angreifer zu verurteilen. Das war das einzige Verbrechen, bei dem man so verfuhr. Das mußt du dir mal vorstellen: Deine Kerle konnten nur aufgrund von Indizienbeweisen für schuldig befunden werden, aber eine Frau war nicht qualifiziert, Augenzeugin ihrer eigenen Vergewaltigung zu sein. Es ist wirklich sehr erhebend, an diesen Siegen mitzuwirken.«
»Na, schön, offenbar hat’s ja was, das du liebst. Aber wenn es bei dir kein Dessert mehr gibt, dann verschwinde ich lieber.«
Ich trug das Geschirr zur Spüle und begleitete Mike zur Tür. Er würde mich um halb sieben abholen, so daß wir eine frühe
Maschine nach Boston nehmen konnten. »Schließ hinter mir ab, Mädchen. In der Halle ist die ganze Nacht ein uniformierter Cop vom 19. Revier - er müßte seit acht Uhr abends hier Wache schieben, bis ich morgen früh wiederkomme. Ich werd’ mich gleich davon überzeugen.«
»Das ist doch albern«, murmelte ich, obwohl ich eigentlich froh darüber war, daß jemand Victor am Eingang unterstützen würde.
»Hol ihn nicht hoch, Blondie, um ihm die Zeit zu vertreiben. Wenn du dich einsam fühlst, dann ruf den Doc von nebenan. Der Cop, den sie für so einen Job herschicken, ist wahrscheinlich zu jung für dich - was denkst du?«
»Ich bin zu müde, um zu denken, Mike. Gute Nacht.«
Ich nahm das Heft von W aus der heutigen Post mit ins Bad, ließ das Wasser so heiß ein, wie ich es aushalten konnte, spritzte noch ein paar Tropfen Chanel in die Wanne und stieg hinein, um mich zu entspannen.
Sosehr ich mich bemühte, mich in den Anblick todschicker Frühlingskleider und superschlanker Models zu vertiefen, die offenbar nicht in Steve’s Pizzen schwelgten - mein Geist ließ sich nicht davon abhalten, seinen eigenen Gedankengängen zu folgen. Ich mußte wieder an das denken, was ich Katherine Fryer - dem Opfer des Serienvergewaltigers - heute morgen in meinem Büro gesagt hatte: Ob Sie es mögen oder nicht, ob Sie sich dagegen wehren oder nicht - das Geschehene wird auf jeden Fall zurückkehren; Dinge, die Sie sehen und hören, werden einfach Erinnerungen an Ereignisse oder Unterhaltungen auslösen, und einiges davon wird bestimmt wichtig sein für die Ermittlungen.
Und nun gingen mir selbst alle möglichen Dinge durch den Kopf. Mikes Scherz beim Abschied, den Doc nebenan zu rufen, der Zufall, daß uns zuvor David Mitchell über den Weg gelaufen war, die Tatsache, daß David ein Seelenklempner war, und meine Skepsis, selbst einen Psychologen in Anspruch zu nehmen - all das verknüpfte sich mit jemandem, an den ich gerade jetzt nicht denken wollte: Isabella.
Warum hatte ich sie nur so abrupt abgewimmelt, als sie von einem zweiten Verfolger sprach? Ich wußte, daß ich mich schuldig
fühlte, weil er ihr Mörder gewesen sein könnte. Nun raste mein Verstand, während mir unablässig Fetzen ihrer Anrufe durch den Kopf schossen. Was hatte sie da von einem Seelenklempner gesagt? Ich wußte, sie hatte den Ausdruck in einer unserer Unterhaltungen gebraucht, aber mir fiel nicht mehr ein, ob sie gesagt hatte, sie würde einen wegen des Verfolgers aufsuchen, oder ob sie sich einbildete, daß der Verfolger ein Psychiater war.
Ich wußte, es würden sich noch mehr solcher Rückblenden an Gespräche einstellen, besonders wenn ich sie zu ignorieren versuchte. Morgen konnte ich ja Nina in L.A. anrufen, zweifellos würde sie mehr darüber wissen. Vermutlich hatte sie Isabella ernsthafter zugehört als ich und würde mir sagen können, was die Anspielung auf den Seelenklempner zu bedeuten hatte. Ich hielt mich an meinen eigenen Rat, stieg aus der Wanne, wickelte mich in ein Badetuch und ging zum Schreibtisch, um meine gedanklichen Assoziationen aufzuschreiben, genauso wie ich es immer meinen Opfern empfahl. Dann trocknete ich mich ab und stellte den Wecker auf 6 Uhr. Bevor ich es mir im Bett gemütlich machen konnte, läutete das Telefon. Ich hob ab und sagte: »Hallo«, aber die Leitung blieb tot. Ich sagte noch einmal »Hallo«, aber es kam keine Antwort. Ich legte den Hörer wieder auf. Ich
Weitere Kostenlose Bücher