Die letzte Dämmerung: Roman (German Edition)
hob zum Gruß ihre Zeitschrift. »Wusstest du, dass der Borneo-Zwergelefant sich vielleicht schon vor dreihunderttausend Jahren vom Asiatischen Elefanten getrennt hat?«
»Nein.« Sie grinste. »Haben sie es nicht erst einmal mit Eheberatung versucht?«
»Süß. Was hast du da?«
»Party im Becher. Na ja, mehr oder weniger.« Jenna ließ den Inhalt einer dicken, celloförmigen Flasche kreisen. Der Cognac funkelte bernsteinfarben, als sie ihn ins Licht hielt.
»Hennessy. Schön.«
Irgendwann, vor Jahren, war diese Flasche mindestens hundertfünfzig Dollar wert gewesen. Na ja – damals . Jetzt war sie vielleicht unbezahlbar. Ersatz zu beschaffen würde vermutlich so gut wie unmöglich sein. Zweifelsohne hatte irgendjemand sie versteckt, um irgendetwas zu feiern, vielleicht in der Absicht, auf einen Durchbruch nach Jahren der Forschung zu trinken, denn das hier war kein Alkohol, den man in sich hineinschüttete, um sich zu betrinken. Man hätte ihn aus einem kristallenen Cognacschwenker nippen sollen.
Jenna streckte Ange stattdessen einen Becher hin. »Hast du Lust, etwas zu trinken?«
»Mein Ex war ein fieser Säufer, also würde ich normalerweise Nein sagen. Aber unter diesen Umständen bin ich mir nicht so sicher, ob es eine Rolle spielt. Ich bin dabei.«
»Ja, und normalerweise würde ich mir Gedanken darüber machen, wachsam zu bleiben und sicherzugehen, dass ich kühlen Kopf bewahre, aber im Augenblick ist mir das einfach egal .« Ihre Stimme zitterte vor Enttäuschung. »Ich bin all das hier so verdammt leid!«
Ich bin es leid, zu kämpfen, ich bin es leid, dass Mason … Mason ist.
»Hättest du nicht Lust, einfach wie ein kleines Kind einen Trotzanfall zu bekommen?«
»Die hatte ich nie, noch nicht einmal, als ich klein war.« Ihre Mutter war immer zu zerbrechlich gewesen, um viel Unfug zu vertragen. Beim ersten und einzigen Mal, als Jenna in einem Supermarkt ausgeflippt war, hatte ihre verstörte Mutter genauso viele Tränen vergossen wie sie. Jenna riss sich aus der Vergangenheit los, füllte die beiden Becher und reichte Ange einen davon. »Aber im Moment klingt das fast verlockend.«
»So ein Pech, dass du erwachsen bist.«
Jenna hob mit zuckenden Lippen das Glas. »Aufs Erwachsensein!«
Eine halbe Stunde später sah alles schon rosiger aus. Sie und Ange hatten den Cognac viel schneller gekippt, als er getrunken werden sollte, und als Ergebnis hatte Jenna einen ordentlichen Schwips. Alle anderen, die sie je gekannt hatte, mochten tot sein, aber der Gedanke deprimierte sie nicht so, wie er das noch am Morgen des Tages getan hätte. Ange war ihre neue beste Freundin, und um ihr das zu beweisen, hörte sie zu, wie die Frau über Zwergelefanten redete.
»Ich meine ja nur, es gab weniger als tausend von ihnen. Du weißt schon, bevor …« Ange schüttelte den Kopf. »Was soll jetzt aus ihnen werden?«
»Keine Ahnung.« Jenna runzelte die Stirn. »Wo zur Hölle liegt Borneo überhaupt?«
»Wie viel davon haben wir getrunken?«, nuschelte Ange.
»Äh …« Jenna warf einen Blick auf die Flasche. »Die Hälfte.«
»Scheiße. Wir sollten aufhören.« Aber sie nahm noch einen Schluck und zog dabei weiterhin die Nase kraus, als wäre es der erste. »Ich wollte sie erforschen, wusstest du das? Ich wollte die Dian Fossey der Elefanten werden, aber so weit bin ich nie gekommen. Das Leben ist beschissen.«
Jennas Lachen fühlte sich in ihrer Kehle wie eine Blase an. »Du wolltest die Elefantenfrau werden?«
Ange schüttelte den Kopf. »Ich hatte mir ausgemalt, wie ich in den Wäldern hausen würde, ganz natürlich und ökologisch. Du weißt schon, ich wollte mich mit Eingeborenenstämmen anfreunden und im Gebüsch hocken, um Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum zu beobachten. Tagebuch führen. Alles dokumentieren. Vielleicht einen Artikel für National Geographic schreiben, um zu beweisen, was für eine tollkühne Gelehrte ich war.«
Das gedämpfte Licht in ihrem gemeinsamen Quartier führte Jenna in Versuchung, die Augen zu schließen. »Können Frauen tollkühn sein?«
»Ich glaube schon«, sagte Ange kichernd. »Warum sollten nur die Männer alles haben?«
»Warum hast du es dann nicht getan?«
»Ich habe ein paar Semester an der University of Oregon studiert, aber meine Eltern haben zu viel verdient, als dass ich Zuschüsse hätte erhalten können. Mit Krediten bin ich nicht sehr weit gekommen, und so musste ich immer wieder Urlaubsjahre einlegen, um zu arbeiten. Bei jeder Unterbrechung
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