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Die letzte Delikatesse

Die letzte Delikatesse

Titel: Die letzte Delikatesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Muriel Barbery
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jenen Tagen am Meer steckte soviel Frohlocken, soviel Einfachheit … an deren Stelle leider gar schnell die immer größere Schwierigkeit getreten ist, Lust zu empfinden …
    Gegen ein Uhr brachen wir auf. Die Rückfahrt nach Rabat, ein Dutzend Kilometer weit, in der Bruthitze des Autos, ließ mir Muße, die Küste zu bewundern. Ich konnte mich nicht satt sehen an ihr. Später, als junger Mann, als ich dieser marokkanischen Sommer beraubt war, rief ich bisweilen die kleinsten Details der Strecke in mein Gedächtnis zurück, vom Strand von Sables d’Or bis zur Stadt, und in Hochstimmung ließ ich minutiös jene Straßen und Gärten wieder an mir vorüberziehen. Es war eine schöne Strecke, die sich an manchen Stellen hoch über dem Atlantik dahinzog; hinter Oleanderbüschen verborgene Villen ließen zuweilen in der falschen Transparenz eines kunstvoll gearbeiteten Gitters das sonnige Leben erahnen, mit dem sie erfüllt waren; die ockergelbe Festung weiter vorn, die über einem smaragdgrünen Meer thronte und von der man mir erst viel später erzählte, daß sie ein äußerst düsteres Gefängnis sei; dann der kleine Strand von Temara, vom offenen Meer abgeschnitten, von Wind und Strudeln geschützt, den ich mit der Geringschätzung dessen maß, der am Meer nur seine aufgewühlte Oberfläche und seinen Aufruhr liebt; der nächste Strand, zu gefährlich, als daß man dort hätte baden können, darauf verstreut einige verwegene Fischer mit von Wellen umspülten braunen Beinen, die der Ozean in einem wütenden Tosen verschlingen zu wollen schien; dann die unmittelbare Umgebung der Stadt, mit dem Souk voller Schafe und heller Zeltbahnen, die im Wind knatterten, mit den von Menschen wimmelnden Vororten, fröhlich laut, arm, aber gesund in der jodhaltigen Luft. Sand klebte mir an den Knöcheln, meine Wangen brannten, ich wurde ganz schlapp in der Hitze der Fahrkabine und ließ mich vom singenden und gleichzeitig so aggressiven Klang des Arabischen einlullen, von dem ich durch das offene Fenster unverständliche Fetzen erhaschte. Süßester aller Leidenswege: Jeder, der einen Sommer am Meer verbracht hat, kennt das, diese lästige Notwendigkeit heimzukehren, das Wasser verlassen zu müssen und wieder an Land zu gehen, die Unannehmlichkeit, wieder schwer zu werden und zu schwitzen – jeder kennt das, hat es gehaßt und erinnert sich später daran wie an einen gesegneten Augenblick. Ferienrituale, unwandelbare Empfindungen: Salzgeschmack in den Mundwinkeln, schrumplige Finger, heiße, trockene Haut, am Kopf klebende Haare, aus denen es noch den Hals hinabtropft, kurzer Atem, wie schön war es, wie einfach … Zu Hause angekommen, stürzen wir unter die Dusche, aus der wir glänzend, mit geschmeidiger Haut und schmiegsamem Haar wieder herauskamen, und der Nachmittag begann mit einer Mahlzeit.
    Wir hatten sie an einer kleinen Bude vor den Stadtmauern gekauft und sorgfältig in Zeitungspapier eingewickelt, bevor wir wieder ins Auto stiegen. Ich betrachtete sie aus den Augenwinkeln, noch zu benommen, um ihre Gegenwart zu genießen, jedoch beruhigt zu wissen, daß sie da war, für »nachher«, für den »Mittag«. Seltsam … daß die Erinnerung an Brot, die sich mir am tiefsten eingeprägt hat und die am Tag meines Sterbens wieder emportaucht, gerade die Erinnerung an die marokkanische Kesra ist, jene hübsche abgeflachte Kugel, die ihrer Konsistenz nach dem Kuchen näher ist als der Baguette, stimmt mich schon etwas nachdenklich. Wie dem auch sei: Geduscht und angezogen, in der Glückseligkeit, nach dem Strand einen Nachmittag mit Flanieren in der Medina vor mir zu haben, setzte ich mich zu Tisch, biß von der ansehnlichen Scheibe, die meine Mutter mir hinstreckte, erobernd ein erstes Stück ab, und in der duftig goldenen, warmen Nahrung fand ich die Konsistenz des Sandes wieder, seine Farbe und seine freundliche Gegenwart. Brot, Sand: zwei verwandte Arten von Wärme, zwei verbündete Reize; jedesmal wird unsere Wahrnehmung von einer ganzen Welt rustikaler Glücksgefühle überwältigt. Zu Unrecht behauptet man, die Erhabenheit des Brotes bestehe darin, daß es sich selbst genüge und gleichzeitig alle anderen Gerichte begleite. Wenn das Brot sich selbst genügt, dann deshalb, weil es mannigfaltig ist, nicht, was die verschiedenen Sorten anbelangt, sondern mannigfaltig in seinem eigentlichen Wesen, denn das Brot ist reich, ist mehrere, ist ein Mikrokosmos. In ihm vermengt sich eine betäubende Vielfalt, wie eine Welt en

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