Die letzte Delikatesse
an das Leben unter der Sonne schließlich, das nicht dasselbe ist wie anderswo, denn wenn man draußen lebt, erfaßt man den Raum auf eine andere Art … und an das Fladenbrot, dieses hinreißende Ständchen an die Sinnenfreuden. Ich spüre, ich spüre genau, daß ich ganz nah dran bin. In dem, was ich suche, ist etwas von alledem enthalten. Etwas, aber es ist noch nicht ganz das … Brot … Brot … Doch was sonst? Von was sonst als von Brot lebt der Mensch auf dieser Welt?
Lotte
Rue Delbet
Immer habe ich ihr gesagt: Ich will nicht hingehen, ich mag Granny, aber Granpy mag ich nicht, er macht mir angst, er hat kohlschwarze große Augen, und er freut sich gar nicht, uns zu sehen, kein bißchen. Darum ist es auch komisch heute. Für einmal möchte ich nämlich gern hingehen, ich möchte Granny sehen und auch Rick, und jetzt will Mama nicht, sie sagt, Granpy sei krank, und wir würden ihn stören. Granpy krank? Das ist nicht möglich. Jean ist krank, ja, sehr krank, aber das macht nichts, ich bin gern mit ihm zusammen, ich mag es, wenn wir im Sommer zusammen Kieselsteine suchen, er nimmt einen Kiesel, schaut ihn an, und dann erfindet er eine Geschichte. Wenn es ein großer runder ist, ist es ein Mann, der zuviel gegessen hat, und jetzt kann er nicht mehr gehen, er rollt und rollt, oder wenn es ein kleiner flacher ist, dann ist man auf ihn draufgetreten, und flutsch, wie ein Eierkuchen, lauter solche Geschichten.
Granpy hat mir nie Geschichten erzählt, nie, er mag Geschichten nicht, er mag Kinder nicht, und er mag Lärm nicht, ich erinnere mich, in Rüdgrenell, da spielte ich einmal artig mit Rick und Anaï’s, der Tochter von Pauls Schwester, es war lustig, und er drehte sich nach uns um, er warf mir einen bösen Blick zu, also wirklich böse, ich hatte Lust zu weinen und mich zu verstecken, ich hatte überhaupt keine Lust mehr zu lachen, und er sagte zu Granny, aber ohne sie anzusehen: »Man soll sie zum Schweigen bringen.« Da machte Granny ihr trauriges Gesicht, sie antwortete nichts, sie kam zu uns und sagte: »Kommt, Kinder, wir gehen in den kleinen Park spielen, Granpy ist müde.« Als wir zurückkamen vom Park, war Granpy fortgegangen, wir haben ihn nicht mehr gesehen, wir aßen mit Granny und mit Mama Abendbrot, und mit Adèle, Pauls Schwester, und es war wieder lustig, aber ich sah genau, daß Granny traurig war.
Wenn ich Mama Fragen stelle, sagt sie immer nein, nein, alles sei in Ordnung, das seien Erwachsenenprobleme, ich brauche mir deswegen keine Sorgen zu machen, und sie habe mich ganz fest lieb. Das weiß ich. Aber ich weiß auch viele andere Dinge. Ich weiß, daß Granpy Granny nicht mehr liebhat, daß Granny sich selbst nicht mehr liebhat, daß Granny Jean mehr liebhat als Mama oder Laura, aber daß Jean Granpy haßt und daß Granpy von Jean angeekelt ist. Ich weiß, daß Granpy denkt, Papa sei ein Dummkopf. Ich weiß, daß Papa Mama böse ist, weil sie Granpys Tochter ist, aber auch, weil sie mich gewollt hat und er keine Kinder haben wollte, oder wenigstens noch nicht; ich weiß auch, daß Papa mich ganz fest liebhat und daß er Mama vielleicht böse ist, weil er mich so liebhat, wo er mich doch gar nicht gewollt hat, und ich weiß, daß Mama mir manchmal ein wenig böse ist, weil sie mich gewollt hat, wo doch Papa nicht wollte. Ja, ja, das alles weiß ich. Ich weiß, daß alle unglücklich sind, weil niemand die Person liebhat, die er sollte, und daß sie nicht begreifen, daß sie vor allem auf sich selber böse sind.
Man meint immer, Kinder wissen nichts. Ich frage mich, ob die Erwachsenen überhaupt auch einmal Kinder waren.
Der Bauernhof
Rue de Crenelle, Zimmer
Ich war schließlich bei jenem schmucken Bauernhof an der Côte de Nacre gelandet, nachdem ich zwei Stunden lang vergeblich versucht hatte, einen gastronomischen Landgasthof ausfindig zu machen, von dem man mir gesagt hatte, er befinde sich in der Umgebung von Colleville und des amerikanischen Friedhofs. Ich habe diesen Teil der Normandie immer geliebt. Nicht wegen seines Cidre, seiner Äpfel, seiner Sahne oder seiner mit Calvados flambierten Hähnchen, sondern seiner riesigen Strände wegen, deren sandiger Uferstreifen bei Ebbe bis weit hinaus offen daliegt und wo ich wirklich verstanden habe, was der Ausdruck »zwischen Himmel und Erde« bedeutet. Ich machte einen langen Spaziergang auf der Omaha Beach, ein bißchen benommen von der Einsamkeit und Weite, ich beobachtete die Möwen und die auf dem Sand
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