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Die letzte Delikatesse

Die letzte Delikatesse

Titel: Die letzte Delikatesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Muriel Barbery
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umherstreunenden Hunde, hielt schützend eine Hand vor die Augen, um einen Horizont abzusuchen, an dem ich nichts entdeckte, und fühlte mich glücklich und zuversichtlich, neu belebt durch diese stille Eskapade. An jenem Morgen, einem schönen, klaren und frischen Sommermorgen, war ich in zunehmend schlechterer Laune auf der Suche nach meinem Landgasthof umhergeirrt, hatte mich in unwahrscheinlichen Hohlwegen verfahren und auf meiner Fahrt nichts als widersprüchliche Auskünfte erhalten. Ich bog schließlich in ein Sträßchen ein, das als Sackgasse im Hof eines der steinernen Bauernhäuser endete, wie sie für die Gegend typisch sind, mit einem von einer imposanten Glyzinie überwachsenen Portalvorbau, Fenstern, die hinter roten Geranien fast verschwanden, und frisch in Weiß gestrichenen Läden. Vor dem Haus, im Schatten einer Linde, war ein Tisch gedeckt, an dem fünf Leute (vier Männer und eine Frau) ihr Mittagessen beendeten. Sie kannten die Adresse nicht, die ich suchte. Als ich mich nach einem nicht allzuweit entfernten Ort erkundigte, wo ich in Ermangelung eines Besseren essen könnte, zogen sie mit einem Anflug von Verachtung die Luft ein. »Man ißt besser zu Hause«, sagte einer der Männer mit einem Gesicht, das Bände sprach. Derjenige, der meiner Meinung nach der Herr des Hauses war, stützte sich mit einer Hand aufs Autodach, beugte sich zu mir herunter und schlug mir ohne weitere Umstände vor, ihr einfaches Mahl zu teilen. Ich nahm an.
    Unter der Linde sitzend, die einen so starken Duft verströmte, daß ich darüber fast keinen Hunger mehr verspürte, hörte ich ihnen zu, wie sie sich bei Kaffee und Calvados unterhielten, während die Bäuerin, eine rundliche junge Frau mit liebenswerten Grübchen auf beiden Seiten der Mundwinkel, mich lächelnd bediente.
    Vier kalte, gesalzene Austern, ohne Zitrone, ohne Gewürze. Langsam hinuntergeschluckt, gesegnet für das herrische Eis, mit dem sie meinen Gaumen überzogen. »Es bleiben nur noch diese hier übrig, es hatte eine ganze Menge davon, zwölf Dutzend, aber wenn das Mannsvolk von der Arbeit kommt, mag es halt was essen.« Sie lachte leise. Vier schlichte Austern. Vollkommener Auftakt ohne Zugeständnisse, königlich in seiner derben Schlichtheit. Ein Glas trockener Weißwein, eisgekühlt, fruchtig raffiniert – »ein Saché, wir haben einen Vetter in der Touraine, von dem wir ihn günstig bekommen!«.
    Einstimmen des Gaumens. Die Männer neben mir unterhielten sich mit einer unglaublichen Redseligkeit über Autos. Über solche, die fahren. Solche, die nicht fahren. Solche, die aufbegehren, bocken, sich sträuben, knattern, keuchen, kaum einen Hang hinaufkommen, in den Kurven ausbrechen, rattern, qualmen, stottern, husten, sich sperren, rebellieren. Die Erinnerung an einen besonders störrischen Simca 1100 beansprucht für sich allein das Privileg einer langen Tirade. Eine echte Kanaille, die selbst mitten im Sommer am Arsch fror. Sie nicken alle entrüstet.
     
    Zwei feine Scheiben geräucherter Rohschinken, seidig in ihren träge fließenden Falten, gesalzene Butter, ein angeschnittener Laib Brot. Eine Überdosis zartschmelzender Robustheit: unwahrscheinlich, aber köstlich. Ein weiteres Glas desselben Weißen, der mich durch die ganze Mahlzeit begleiten wird. Spannender, einschmeichelnder, betörender Auftakt.
    »Ja, der Wald ist voll davon«, antwortet man mir auf meine höfliche Frage, ob es Wild gebe in der Gegend. »Übrigens«, sagt Serge (da ist auch ein Claude oder ein Christian, der Hausherr, aber es gelingt mir nicht, ihm einen Vornamen zuzuordnen), »passieren oft Unfälle deswegen.«
     
    Ein paar dicke grüne Spargeln, umwerfend zart. »Um Ihnen das Warten zu verkürzen, während ich den Rest aufwärme«, beeilt sich die junge Frau zu sagen, da sie wohl meint, ich wundere mich über ein so kärgliches Hauptgericht. »Aber nein doch«, versichere ich ihr, »es ist ganz großartig.« Erlesener Farbton, ländlich, fast bukolisch. Sie errötet und verschwindet lachend.
    Um mich herum geht das Gespräch über das Wild, das im Wald unerwartet die Straßen überquert, munter weiter. Es ist von einem gewissen Germain die Rede, der eines Nachts ein abenteuerlustiges Wildschwein anfährt, es in der Dunkelheit für tot hält, in den Kofferraum verfrachtet (»stellt euch vor, eine solche Gelegenheit!«), weiterfährt, während das Tier langsam zu sich kommt und im Kofferraum zu rumoren (»im Koffer zu rummeln«) beginnt, mit beharrlichen Püffen

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