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Die letzte Delikatesse

Die letzte Delikatesse

Titel: Die letzte Delikatesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Muriel Barbery
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miniature, die vom ersten bis zum letzten Bissen ihren Facettenreichtum enthüllt. Der Angreifer, der als erstes auf den Wall der Rinde stößt, ist, kaum hat er diese Schranke überwunden, verblüfft über die Zustimmung, die er im frischen, weichen Inneren findet. Es ist eine solche Kluft zwischen der rissigen Kruste, hart wie Stein bisweilen, dann wieder lediglich ein Putz, der der Offensive nicht lange standhält, und der Zartheit der inneren Substanz, die sich schmeichelnd und gefügig gegen die Wangen kuschelt, daß man beinahe aus der Fassung gerät. Durch jedes Spältchen in dieser Kruste sickert Ländlichkeit: Es ist wie Feldarbeit, man denkt unvermittelt an den Bauern in der Abendbrise; an den Kirchturm im Dorf, es hat eben sieben geschlagen; der Bauer trocknet sich mit dem Jackenkragen die Stirn; das Tagwerk ist getan.
    Am Schnittpunkt von Rinde und weichem Inneren dagegen nimmt vor unserem geistigen Auge eine Mühle Gestalt an; Getreidestaub wirbelt um den Mühlstein, die Luft ist ein einziger mehliger Dunst; und wieder ein Szenenwechsel, denn eben hat sich der Gaumen die von ihrem Panzer befreite, wabenartig luftige Masse angeeignet, und die Arbeit der Kiefer kann beginnen. Es ist zwar Brot, und doch ißt es sich wie Kuchen; aber anders als beim Backwerk oder auch beim Frühstücksgebäck, führt das Brotkauen zu einem überraschenden Ergebnis, einem … klebrigen Ergebnis. Der wieder und wieder gekaute Krumenklumpen muß sich am Schluß zu einer pappigen Masse zusammenballen, die so kompakt ist, daß keine Luft eindringen kann; Brot pappt, ja, genau, es pappt. Wer es nie gewagt hat, mit Zähnen, Zunge, Gaumen und Wangen das Innere des Brotes ausgiebig durchzukneten, hat auch nie erschauernd das mitreißende Ungestüm des Klebrigen in sich gespürt. Es ist nicht mehr Brot, nicht mehr sein weiches Inneres, nicht mehr Kuchen, was wir da kauen, es ist etwas uns Anverwandtes, von einem Geschmack, wie ihn unsere innersten Gewebe wohl haben, was wir mit unserem erfahrenen Mund so bearbeiten, während sich Speichel und Hefe in einer undurchsichtigen Bruderschaft verbinden.
    Wir saßen um den Tisch herum und kauten alle gewissenhaft und schweigend. Es gibt wirklich seltsame Gemeinschaften. Weit entfernt von den Riten und dem Prunk der Messen in der Kirche, fernab der religiösen Handlung, in der wir das Brot brechen und dem Himmel dafür danksagen, waren wir gleichwohl in einer heiligen Kommunion vereint, die uns, ohne daß wir es wußten, einer höheren, entscheidenden Wahrheit zuführte. Und wenn einige von uns, sich dieser mystischen Oration undeutlich bewußt, dies auch leichthin dem Genuß zuschrieben, beisammen zu sein und in der Geselligkeit und der Entspannung der Ferien einen geheiligten Leckerbissen zu teilen, wußte ich doch, daß sie der Täuschung nur erlagen, weil es ihnen an Worten und an der Einsicht fehlte, um eine solche Erhebung auszudrücken und zu erklären. Provinz, Ländlichkeit, Lebensfreude und organische Elastizität: All das ist im Brot enthalten, im Brot von hier wie im Brot von anderswo. Das macht aus ihm auch zweifellos das ideale Instrument, mit dem wir uns in uns selbst hineintreiben lassen, auf der Suche nach uns selbst.
    Nach diesem ersten appetitanregenden Kontakt stellte ich mich der nächsten Schlacht. Frische Salate – man ahnt nicht, was in kleine und regelmäßige Würfel geschnittene und nur gerade mit Koriander gewürzte Karotten und Kartoffeln ihren grob zugeschnittenen Artgenossen an Geschmack voraushaben –, lukullische Tajines: Ich leckte mir genüßlich die Lippen und schlug mir den Bauch voll wie ein Engel, ohne Gewissensbisse oder Reue. Aber mein Mund vergaß nicht, mein Mund erinnerte sich, daß er dieses Festmahl im ausgelassenen Spiel seiner Kiefer mit dem weißen, weichen Brot eröffnet hatte, und wenn ich, um diesem meine Dankbarkeit zu beweisen, später auch ein Stück in meinen Teller tunkte, der noch voller Sauce war, so wußte ich doch genau, daß mein Herz nicht mehr dabei war. Mit dem Brot ist es wie mit allem anderen: Was zählt, ist das erste Mal.
    Ich erinnere mich an die blumengeschmückte Üppigkeit des Teesalons der Houdayas, von wo aus wir Salé und das Meer betrachteten, in der Ferne, am Unterlauf des Flusses, der die Stadtmauern entlangfloß; an die bunten Gäßchen der Medina; an den Jasmin, der sich wie Stromschnellen über die Mauern der kleinen Höfe ergoß, Reichtum der Armen, so weit entfernt vom Luxus der abendländischen Parfümeure;

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