Die letzte Delikatesse
Olivenöl hinein, ließ es erhitzen, streute die nackten Garnelen ins Öl. Geschickt kreiste die Holzkelle sie ein, ließ den kleinen Hörnchen keinen Ausweg, bedrängte sie von allen Seiten, brachte sie in der duftenden Pfanne zum Tanzen. Dann den Curry. Weder zuviel noch zuwenig. Ein sinnlicher Staub, der mit seinem exotischen Gold den zartrosa angehauchten Kupferton der Krustentiere noch schöner erscheinen ließ: der neu erfundene Orient. Salz, Pfeffer. Er schnippelte mit der Schere ein Büschel Koriander über das Ganze. Zum Schluß rasch einen Schuß Cognac, ein Streichholz; aus der Bratpfanne schoß eine lange, zänkische Flamme, wie ein Ruf oder ein Schrei, den man endlich herausläßt, ein wilder Seufzer, der so schnell verstummt, wie er aufgestiegen ist.
Auf dem Marmortisch warteten ein Teller aus Porzellan, ein Kristallglas, gediegenes Silberbesteck und eine bestickte Leinenserviette. Auf dem Teller richtete er mit dem Holzlöffel sorgfältig die Hälfte der Garnelen und den Reis an, den er vorher in einer winzigen Schale zusammengepreßt, als kleine, pausbäckige Kuppel gestürzt und mit einem Pfefferminzblatt gekrönt hatte. In das Glas goß er sich großzügig eine Flüssigkeit wie durchsichtiges Getreide.
»Darf ich dir ein Glas Sancerre einschenken?«
Ich schüttelte verneinend den Kopf. Er setzte sich zu Tisch.
Einen Imbiß. Das nannte Jacques Destrères einen Imbiß. Und ich wußte, daß er es ernst meinte, daß er sich auf diese Art jeden Tag liebevoll ein Häppchen Paradies zubereitete, daß er nicht um die Raffinesse seines einfachen Essens wußte, echter Feinschmecker, wahrer Ästhet gerade dadurch, daß keinerlei Inszenierung seinen Alltag prägte. Ohne selber die Speisen anzurühren, die er vor meinen Augen zubereitet hatte, sah ich ihm zu, wie er aß, mit der gleichen unbeteiligten und subtilen Sorgfalt aß, mit der er gekocht hatte, und diese Mahlzeit, die ich nicht probierte, ist eine der besten meines Lebens geblieben.
Kosten ist ein Akt der Lust, über diese Lust zu schreiben eine künstlerische Ausdrucksform, aber das einzige wahre Kunstwerk ist letztlich das Festmahl des anderen. Paul Destrères’ Mahlzeit verkörperte dieses in seiner Vollendung, weil sie nicht meine Mahlzeit war, weil sie nicht ins Vorher und Nachher meines Alltags hineinreichte, und weil sie als geschlossene und eigenständige Einheit in meinem Gedächtnis haftenbleiben konnte, ein einzigartiger, außerhalb von Zeit und Raum geprägter Moment, eine von meinen Gefühlen befreite Perle meines Geistes. So, wie man einen Raum betrachtet, der sich in einem Zerrspiegel reflektiert und der zu einem Bild wird, weil er sich nicht mehr nach außen hin öffnet, sondern eine Welt ohne ein Anderswo vorgaukelt, die durch den Spiegelrahmen streng begrenzt wird und vom Leben ringsum abgeschnitten ist, so ist die Mahlzeit des anderen im Rahmen unserer Betrachtung eingeschlossen und befreit von der unendlichen Fluchtlinie unserer Erinnerungen und unserer Pläne. Ich hätte jenes Leben leben wollen, das der Spiegel oder Jacques’ Teller mir suggerierte, ein Leben ohne Perspektiven, in denen sich die Möglichkeit, daß es zum Kunstwerk wird, verflüchtigt, ein Leben ohne Einst und Morgen, ohne Umgebung und Horizont: hier und jetzt, schön, vollständig, in sich geschlossen.
Und das ist es auch nicht. Was die großen Küchen meinem kulinarischen Genie eingegeben, was Jacques Destrères’ Garnelen meiner Intelligenz vermittelt haben, bringt meinem Herzen keine Erkenntnis. Schwermut. Schwarze Sonne.
Die Sonne …
Gégène
Ecke Rue de Grenelle und Rue du Bac
Du und ich, wir sind aus dem gleichen Holz geschnitzt.
Es gibt zwei Gattungen von Passanten. Zuerst die häufigere, in der es allerdings auch Nuancen gibt. Leute dieser Sorte schauen mir nie ins Gesicht oder höchstens flüchtig, wenn sie mir das Geldstück geben. Manchmal lächeln sie schwach, aber immer ein bißchen verlegen, und machen sich dann schleunigst davon. Oder sie bleiben gar nicht stehen und gehen so schnell als möglich vorüber, mit ihrem schlechten Gewissen, das sie hundert Schritte weit plagt – fünfzig vorher, wenn sie mich von weitem bemerkt haben und schleunigst den Kopf auf die andere Seite schrauben, bis dieser, fünfzig Meter nach der zerlumpten Gestalt, seine gewohnte Beweglichkeit wiedererlangt –, und danach vergessen sie mich, atmen wieder frei, und der Stich von Mitleid und Scham, den sie im Herzen verspürt haben, ist allmählich
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