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Die letzte Delikatesse

Die letzte Delikatesse

Titel: Die letzte Delikatesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Muriel Barbery
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sein, ein Führer, eine Gottheit; im Geist zu unerreichbaren Sphären vorstoßen, verstohlen in die Labyrinthe der Inspiration eindringen, die Vollendung streifen, das Genie berühren! Aber was ist denn nun erstrebenswerter? Sein armes kleines Leben als angepaßter Homo sapiens zu leben, ohne Sinn und ohne Salz, weil man zu schwach ist, um sich an die Zielsetzung zu halten? Oder, fast als Einbrecher, endlos die Ekstasen eines anderen auszukosten, der weiß, was er sucht, der seinen Kreuzzug schon begonnen hat und der, weil er ein Endziel hat, der Unsterblichkeit nahekommt?
    Noch später dann eine andere großzügige Geste: seine Freundschaft. Und indem ich den Blick akzeptierte, den er auf mich richtete in der Intimität unserer Gespräche von Mann zu Mann, bei denen ich im Feuer meiner Leidenschaft für die Kunst zum Zeugen, zum Jünger, zum Beschützer und Verehrer in einem wurde, erntete ich hundertfach die Früchte meiner frei gewählten Unterordnung. Seine Freundschaft! Wer hat nicht von der Freundschaft mit einem Großen des Jahrhunderts geträumt, wer hat sich nicht gewünscht, den Helden zu duzen, den verlorenen Sohn zu umarmen, den großen Meister der kulinarischen Orgien? Seine Freundschaft! Seine Freundschaft und sein Vertrauen, und jetzt sogar das so wertvolle und zugleich schmerzliche Privileg, ihm seinen Tod anzukündigen … Morgen? In der Morgendämmerung? Oder diese Nacht? Diese Nacht … Auch meine Nacht, denn der Zeuge stirbt, wenn er nichts mehr bezeugen kann, der Jünger stirbt aus Gram über den Verlust, der Beschützer stirbt, weil er versagt hat, und der Verehrer schließlich stirbt, weil er einen Leichnam vergöttert, der dem Frieden der Kirchhöfe geweiht ist … Meine Nacht …
    Doch ich bereue nichts, ich bekenne mich zu allem, weil er es war, und weil ich es war.

Der Spiegel
Rue de Crenelle, Zimmer
     
     
    Er hieß Jacques Destrères. Es war ganz am Anfang meiner Karriere. Ich hatte eben einen Artikel über die Spezialität des Hauses Gerson beendet, den nämlichen, der alle in meinem Berufsstand geltenden Normen revolutionieren und mich ans Firmament der Gastronomiekritik befördern sollte. In der aufgeregten, aber zuversichtlichen Erwartung dessen, was geschehen würde, hatte ich bei meinem Onkel Zuflucht gesucht, dem ältesten Bruder meines Vaters, ein Junggeselle und Lebenskünstler, der bei der Familie als Original galt. Er hatte nie geheiratet, man hatte nie eine Frau auch nur an seiner Seite gesehen, so daß mein Vater ihn gar im Verdacht hatte, er sei »andersherum«. Er hatte Erfolg gehabt mit seinen Geschäften und sich dann im reiferen Alter auf ein reizendes kleines Landgut nahe dem Wald von Rambouillet zurückgezogen, wo er friedliche Tage damit zubrachte, seine Rosenstöcke zu schneiden, seine Hunde spazierenzuführen, in Gesellschaft irgendwelcher ehemaliger Geschäftsfreunde eine Zigarre zu schmauchen und sich kleine Junggesellengerichte zusammenzubrauen. Ich saß in seiner Küche und schaute ihm zu. Es war Winter. Ich hatte sehr früh bei Groers in Versailles zu Mittag gegessen und war danach in bester Stimmung über die kleinen verschneiten Straßen gefahren. Im Kamin knisterte ein gemütliches Feuer, und mein Onkel bereitete die Mahlzeit zu. Die Küche meiner Großmutter hatte mich an eine laute und hektische Atmosphäre gewöhnt, in der inmitten von Pfannenscheppern, Butterbrutzeln und Messerklappern ein Mannweib in Trance herumtobte, dem allein seine lange Erfahrung eine Aura von Heiterkeit verlieh – von der Art, wie sie die Märtyrer in den Flammen der Hölle bewahren. Jacques dagegen tat alles mit Maß. Er beeilte sich nicht, doch da war auch keine Langsamkeit. Jede Bewegung kam zu ihrer Zeit.
     
    Sorgfältig spülte er in einem kleinen silbrigen Sieb den thailändischen Reis, ließ ihn abtropfen, schüttete ihn in die Pfanne und bedeckte ihn mit eineinhalb Maß gesalzenem Wasser, deckte ihn zu, ließ ihn kochen. Die Garnelen lagen in einem Steingutgefäß. Während er sich mit mir unterhielt, hauptsächlich über meinen Artikel und meine Pläne, schälte er sie, sorgfältig, konzentriert. Nicht einen Augenblick beschleunigte er den Rhythmus, nicht einen Augenblick verlangsamte er ihn. Nachdem er den letzten kleinen Schnörkel aus seiner schützenden Schale gelöst hatte, wusch er sich mit einer Seife, die nach Milch roch, gewissenhaft die Hände. Mit derselben ruhigen Gleichmäßigkeit stellte er eine gußeiserne Bratpfanne auf den Herd, goß ein wenig

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