Die letzte Delikatesse
freundlichere Gefilde abzusetzen, blieb neben dem leeren Teller stehen, der seine Erwartungen in reichem Maß erfüllt hatte, und schaute uns mit ausdruckslosen Augen an. Leer ist übrigens nicht ganz das passende Wort. Sicher, daß man ihn nicht allzubald stören würde, hatte er die Biskuitrolle mit methodischem Fleiß erst von rechts nach links bearbeitet, dann von links nach rechts, und so fort, auf der ganzen Länge, bis wir dazukamen und von der Meisterleistung aus süßer Butter nicht mehr übrig war als ein langgezogenes, dünnes Gefaser, das jede Hoffnung zunichte machte, wir könnten noch etwas auf unsere Teller retten. Gleich Penelope, die auf ihrem Webstuhl Faden um Faden die ganze Länge eines Tuches auftrennt, das eigentlich ein Wandteppich hätte werden sollen, hatte Rhett aus seinen geschickten Lefzen ein akkurates Weberschiffchen gemacht, das die Freuden seines Kennermagens wob.
Meine Großmutter lachte so herzlich darüber, daß sich der Vorfall von einer kosmischen Katastrophe in eine köstliche Anekdote verwandelte. Auch das gehörte zur Begabung dieser Frau: das Salz des Daseins zu erkennen, wo andere nur die Nachteile sehen. Sie wettete darauf, daß der Hund von selbst bestraft werden würde durch die kolossale Magenverstimmung, die ein für fünfzehn Personen bestimmtes Gebäck ihm unweigerlich in Bälde bescheren würde. Sie täuschte sich. Trotz der verdächtigen Beule, die auf der Höhe seines Magens während einiger Stunden zu beobachten war, wurde Rhett sehr gut mit seinem Weihnachtsschmaus fertig, den er mit einem tiefen, ab und zu von einem lustvollen Quietschen unterbrochenen Mittagsschläfchen abrundete, und seine Entrüstung war denn auch nicht allzu groß, als er am Tag darauf seinen leeren Eßnapf betrachtete, eine armselige Vergeltungsmaßnahme, von meinem Vater angeordnet, der zum mindesten den Streich nicht goutiert hatte.
Braucht es eine Moral zu dieser Geschichte? Ich war Rhett kurz böse, weil er mich um einen angekündigten Genuß gebracht hatte. Aber ich hatte auch unbändig gelacht über die heitere Art, wie der Hund die verbissene Arbeit meiner Großmutter, dieses Drachens, beleidigt hatte. Und vor allem hatte mich ein Gedanke gestreift, und ich hatte ihn höchst erfreulich gefunden. Da bei dieser Gelegenheit eine ganze Anzahl von Verwandten um den Tisch versammelt waren, denen ich im besten Fall mit Geringschätzung, im schlimmsten mit Feindseligkeit begegnete, schien es mir letztlich köstlich, daß der Kuchen, der eigentlich für ihre tristen Gaumen bestimmt war, denjenigen meines Hundes erfreut hatte, der in meinen Augen ein begnadeter Feinschmecker war. Dabei gehöre ich nicht zu denen, die ihren Hund einem Menschen vorziehen, den sie nicht kennen. Ein Hund ist nichts weiter als ein sich bewegendes, bellendes und quirliges Ding, das durch unseren Alltag streunt. Aber wenn man schon seine Abneigung ausdrücken will gegen jene, die sie verdienen, kann man es ebensogut mit Hilfe dieser drolligen Haustiere tun, die zwar unbedeutend sind, aber auch umwerfend durch die Komik, über die sie ganz ohne ihr Dazutun in aller Unschuld verfügen.
Clown, Geschenk, Klon. Er war alle drei zugleich, drollig mit seiner kuschelig pfiffigen, fröhlichen Silhouette, Geschenk, zu dem er sich selber machte, indem er die ungekünstelte Liebenswürdigkeit seiner Welpenseele ausstrahlte, Klon meiner selbst, aber ohne es wirklich zu sein: Ich sah in ihm nicht mehr den Hund, sowenig, wie ich ihn zum Menschen machte; er war Rhett, Rhett vor allem anderen, bevor er Hund, Tier, Engel oder Dämon war. Doch wenn ich wenige Stunden vor meinem Ende die Erinnerung an ihn heraufbeschwöre, dann darum, weil es eine pure Beleidigung ist, ihn vorhin vergessen zu haben, als ich die natürlichen Düfte in mein Gedächtnis zurückrief. Rhett war in der Tat selbst schon eine olfaktorische Freude. Ja, mein Hund, mein Dalmatiner, verbreitete einen phantastischen Wohlgeruch. Man mag es glauben oder nicht: Er roch auf der Haut an seinem Hals und oben auf seinem kräftigen Schädel nach leicht geröstetem, süßem Hefebrot, wie es am Morgen, mit Butter und Mirabellenkonfitüre bestrichen, die Küche mit seinem Duft erfüllt. Rhett duftete wunderbar nach lauwarmer Brioche, nach dem anheimelnden Aroma von Hefe, so daß man augenblicklich das Verlangen spürte hineinzubeißen, und man muß sich das vorstellen: Ob der Hund, der den lieben langen Tag in jedem Winkel von Haus und Garten herumtollte, überaus
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