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Die letzte Delikatesse

Die letzte Delikatesse

Titel: Die letzte Delikatesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Muriel Barbery
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getupft, war unglaublich seidig; in der Tat ist der Dalmatiner ein Hund, der sich sehr seidig anfühlt und auch seidig glänzt. Ohne jedoch ölig zu sein: Es liegt nichts Schmeichlerisches oder Gekünsteltes in der spontanen Sympathie, die seine Physiognomie weckt, man verspürt einzig einen starken Hang zu liebevoller Aufrichtigkeit. Wenn er obendrein mit nach vorn geklappten Ohren, die wie Tropfen an seinen hängenden Lefzen entlangfielen, die Schnauze auf die Seite legte, war er so unwiderstehlich, daß ich nicht bereute, begriffen zu haben, in welchem Maß die Liebe, die wir für ein Tier empfinden, mit unserer Vorstellung von uns selbst zu tun hat. Wer möchte übrigens bezweifeln, daß der Mensch und das Tier nach einer gewissen Zeit des Zusammenlebens gegenseitig die Schwächen des anderen übernehmen. Rhett, ansonsten ziemlich schlecht erzogen, um nicht zu sagen, überhaupt nicht erzogen, war mit einem pathologischen Verhalten geschlagen, das nicht weiter erstaunlich war. Als Gefräßigkeit zu bezeichnen, was bei ihm vielmehr zwanghafter Bulimie gleichkam, wäre eindeutig untertrieben. Kaum fiel ein Salatblatt zu Boden, stürzte er sich auch schon darauf, mit einem äußerst eindrücklichen Hechtsprung, der in einem mit den Hinterpfoten abgebremsten Schlittern endete, verschlang es ohne zu kauen in seiner panischen Angst, man könnte es ihm streitig machen, und erkannte erst nachträglich, davon bin ich überzeugt, was er da erbeutet hatte. Seine Devise lautete wohl: Erst fressen, dann schauen. Und bisweilen kam mir der Gedanke, daß ich den einzigen Hund auf der Welt besitze, bei dem die Freßlust mehr Bedeutung hatte als das Fressen selbst, sosehr war der größte Teil seiner täglichen Betriebsamkeit darauf ausgerichtet, dort zu sein, wo er hoffen konnte, etwas Freßbares zu ergattern. Seine Findigkeit ging indessen nicht so weit, daß er Tricks erfunden hätte, um sich etwas zu beschaffen; doch verstand er es meisterlich, sich strategisch an genau den Ort zu postieren, wo es eine vergessene Wurst auf dem Bratrost zu stibitzen gab, wo ein zermalmter Kartoffelchip, Überbleibsel eines eiligen Aperitifs, der Aufmerksamkeit der Hausherren entgehen würde. Auf weniger harmlose Art und Weise demonstrierte er diesen unstillbaren Freßdrang sehr anschaulich (wenn auch etwas dramatisch) an einem Weihnachtsfest bei meinen Großeltern in Paris, wo den Abschluß der Mahlzeit, nach einem vorsintflutlichen Brauch, selbstverständlich eine Bûche de Noël bilden mußte, eine einfache, mit Butter-, Kaffee- oder Schokoladencreme gefüllte Biskuitrolle, die von meiner Großmutter liebevoll zubereitet worden war – einfache Biskuitrolle vielleicht, auf der aber die Großartigkeit des reüssierten Werks lastete. Rhett, in Hochform, tollte in der Wohnung herum, wurde von den einen gestreichelt, von den anderen verstohlen mit Leckereien gefüttert, welche sie hinter dem Rücken meines Vaters nachlässig auf den Teppich legten, und drehte so seit Beginn der Mahlzeit regelmäßig seine Runden (Korridor, Salon, Eßzimmer, Küche, und wieder Korridor, Salon, Eßzimmer, usw.), die gelegentlich durch ein ausgiebiges Schlabbern markiert wurden. Marie, die Schwester meines Vaters, bemerkte seine Abwesenheit als erste. Ich realisierte gleichzeitig mit den anderen, daß wir den immer wiederkehrenden, wedelnden weißen Federbusch, der hinter den Sesseln hervorschaute und uns anzeigte, daß der Hund vorbeilief, schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen hatten. Nach einem kurzen Augenblick, in dem wir, mein Vater, meine Mutter und ich, jäh begriffen, was sich da vermutlich zusammenbraute, schnellten wir wie auf Kommando hoch und stürzten zum Zimmer, in dem meine Großmutter, die den Bruder Lustig und seine Liebe zur Küche kannte, das so kostbare Dessert vorsorglich aufbewahrt hatte.
    Das Zimmer war offen … Jemand (man fand nie heraus, wer der Schuldige war) hatte trotz der strengen Mahnungen offensichtlich vergessen, die Tür zu schließen, und der Hund, von dem man nun wirklich nicht verlangen konnte, daß er ohne fremde Hilfe seiner Natur widerstehe, hatte daraus ganz selbstverständlich gefolgert, der Weihnachtskuchen sei für ihn. Meine Mutter stieß einen Schrei der Verzweiflung aus; ein Klageweib hätte gewiß nicht herzzerreißender schreien können, Rhett, dem seine Beute aller Wahrscheinlichkeit nach zu schwer auflag, als daß er wie üblich hätte reagieren können, das heißt, zwischen den Beinen durchflitzen, um sich in

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