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Die letzte Delikatesse

Die letzte Delikatesse

Titel: Die letzte Delikatesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Muriel Barbery
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Block und füllte uns einen Schöpflöffel voll in dickbauchige Gläser, die wir wie geweihte Reliquien entgegennahmen. Und ich begriff, daß ich schließlich nur dafür getafelt hatte: um bei diesem Orangensorbet anzulangen, bei diesen Stalaktiten aus der Kindheit, um an diesem einzigartigen Abend den Wert und die Wahrheit meiner gastronomischen Neigungen zu erleben.
     
    Später, im Dämmerlicht, fragte ich Marquet flüsternd: »Wie machst du es, das Sorbet, das Orangensorbet?«
    Sie drehte sich halb auf dem Kissen um, zarte Locken ringelten sich um meine Schulter.
    »Wie meine Großmutter«, antwortete sie mit einem strahlenden Lächeln.
    Ich hab’s fast. Das Feuer … das Eis … die Creme!

Marquet
»Chez Marquet«, in der Gegend von Meaux
     
     
    Kein Zweifel, er war ein ausgemachter Lump. Er hat uns konsumiert, meine Küche und mich, mit der Überheblichkeit eines hergelaufenen Bauernlümmels, als wäre es ganz selbstverständlich, daß die Marquet ihm ihre Reverenz erweise, indem sie von seinem ersten Besuch an ihre Gerichte und ihren Hintern darbot … Ein ausgemachter Lump, aber wir hatten eine gute Zeit zusammen, und die kann er mir nicht nehmen, denn letztlich habe ich mich am Gespräch mit einem echten Genie der Gastronomie gelabt, habe mit einem außergewöhnlichen Liebhaber die Sinnenfreuden genossen und bin trotzdem eine freie, eine stolze Frau geblieben …
    Zugegeben: Wenn er frei gewesen und wenn er ein Mann gewesen wäre, der aus einer Frau etwas anderes gemacht hätte als eine jederzeit verfügbare Dirne – dann, ja, dann … Aber dann wäre es nicht der gleiche Mann gewesen, nicht wahr?

Die Mayonnaise
Rue de Crenelle, Zimmer
     
     
    Es gibt nichts Köstlicheres, als zu sehen, wie sich die Welt unseren Wünschen unterordnet. Welch unerhörte Freiheit, einen Eßtempel zu besetzen in der schrankenlosen Glückseligkeit, sich all seine Gerichte leisten zu können! Heimliches Erschauern, wenn der Maître d’hôtel sich lautlos nähert; sein unpersönlicher Blick, ein fragiler, doch gelungener Kompromiß zwischen Respekt und Diskretion, ist eine Huldigung an Ihren sozialen Status. Sie sind niemand, weil Sie jemand sind; hier wird Sie niemand belauern, niemand beurteilen. Daß Sie hier eindringen konnten, genügt als Beweis, daß Sie dazu auch berechtigt sind. Kleiner, diskreter Stich in der Brust, wenn Sie die Karte aus gekörntem Velin aufschlagen, damasten wie die Servietten von dazumal. Maßvoll verhaltener Taumel, wenn Sie sich erst einmal planlos im Gemurmel der Gerichte verlieren. Der Blick gleitet über sie hinweg, weigert sich eine Weile, sich von einem bestimmten Gedicht einfangen zu lassen, erfaßt im Flug nur wollüstige Fragmente, tummelt sich in der verschwenderischen Fülle von Ausdrücken, die er aufs Geratewohl herauspickt. Kalbsnuß … Pistaziencassata … Seeteufel à la Scampi … Reusen-Aal … naturell … bernsteinfarbener Auberginen-Aspik … abgeschmeckt mit bretonischem Senf … Konfit von Schalotten … pochierter Seebarsch à la marinière … eisgekühlte Weinschaumcreme … an altem Traubensaft … norwegischer Hummer … Entenbrust nach Pekingart … Auftakt zur Ekstase schließlich, wenn die Magie das ihre tut und sich die Aufmerksamkeit in einer bestimmten Zeile verfängt:
     
    Entenbrust nach Pekingart aus der Bratpfanne, mit Berber-Gewürz eingerieben; Crumble aus Jamaika-Grapefruits und Konfit von Schalotten.
     
    Sie unterdrücken einen unkontrollierten Speichelfluß, Ihre Konzentration hat den Höhepunkt erreicht. Sie verfügen über die Dominante der Symphonie.
    Es sind nicht sosehr die Ente, das Berber-Gewürz und die Grapefruit, die Sie auf diese Weise elektrisiert haben, wenn sie dem Gericht auch im voraus schon eine sonnige, würzige und süße Note verleihen und es auf der chromatischen Skala irgendwo zwischen Bronze, Gold und Mandelgrün ansiedeln. Das Konfit von Schalotten, das augenblicklich zum Aroma wird, das schmilzt und auf Ihre noch nackte Zunge den Vorgeschmack von frischem Ingwer, marinierter Zwiebel und Moschus zaubert, hat in seiner Raffinesse und Üppigkeit zwar Ihr Verlangen geweckt, das nur darauf gewartet hatte. Indessen, es allein wäre nicht ausschlaggebend gewesen. Es brauchte die unvergleichliche Poesie dieses »aus der Bratpfanne«, die eine Flut olfaktorischer Erinnerungen heraufbeschwört, an den Duft von Brathähnchen, die auf den Viehmärkten im Freien gegrillt werden, an das sensorische Kunterbunt der chinesischen Märkte, an

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