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Die letzte Delikatesse

Die letzte Delikatesse

Titel: Die letzte Delikatesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Muriel Barbery
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das unwiderstehlich Knackig-Weiche des angebratenen Fleisches, das fest ist und saftig in seiner knusprigen Hülle, an das vertraute Geheimnis dieser Bratpfanne, weder Bratspieß noch Rost, eher eine Wiege für die Ente, während sie gebraten wird – all das war nötig, um Geruch und Geschmack zu vereinen und Ihre heutige Wahl festzulegen. Sie brauchen nur noch das Thema auszuschmücken.
    Wie viele Male habe ich mich wohl auf diese Weise in einer Karte verloren, wie man sich im Unbekannten verliert? Es wäre sinnlos, darüber Buch führen zu wollen. Immer wieder habe ich ein ungeteiltes Vergnügen dabei empfunden. Doch nie so intensiv wie an jenem Tag, als ich im Reich des Küchenchefs Lessière, im Allerheiligsten der gastronomischen Innovation, eine betörende, Wonnen verheißende Karte verschmähte, um mich genüßlich und schamlos der Ausschweifung einer simplen Mayonnaise hinzugeben.
     
    Ich hatte meinen Finger hineingetaucht, lässig, im Vorbeigehen, so, wie man auf einem treibenden Boot seine Hand durchs kühle Wasser gleiten läßt. Wir diskutierten miteinander über seine neue Karte, am Nachmittag, als der Strom der Tafelgäste vorübergehend versiegt war, und ich fühlte mich in seiner Küche wie in der Küche meiner Großmutter: ein vertrauter Fremder im Harem. Ich war überrascht von dem, was ich da kostete. Es war tatsächlich eine Mayonnaise, und gerade das verwirrte mich; wie ein verirrtes Schaf unter Löwen, wirkte die traditionelle Sauce hier irgendwie befremdlich archaisch. »Was ist das?« fragte ich und meinte damit: Wie ist eine simple Hausfrauenmayonnaise hier gelandet? »Aber das ist doch eine Mayonnaise«, antwortete er lachend, »sag mir nur nicht, du weißt nicht, was eine Mayonnaise ist.« »Einfach so, eine ganz simple Mayonnaise?« Ich war erschüttert. »Ja, ganz simpel. Ich kenne keine bessere Art, sie zuzubereiten. Ein Ei, Öl, Salz und Pfeffer.« Ich ließ nicht locker. »Und zu was wird sie gereicht?« Er schaute mich aufmerksam an. »Ich werde es dir sagen«, antwortete er langsam, »ich werde dir sagen, zu was sie gereicht wird.« Er befahl einem Küchenjungen, ihm Gemüse und kalten Schweinebraten zu bringen, und machte sich sogleich daran, ersteres zu schälen.
    Ich hatte vergessen, ich hatte es vergessen, und er, den seine Eigenschaft als Handwerker und nicht als Kritiker zwang, nie zu vergessen, was man zu Unrecht das »Fundament« der Küche nennt und was doch viel eher ihr tragendes Gerüst ausmacht, übernahm es, mich daran zu erinnern, mir gnädig und ein wenig herablassend eine Lehre zu erteilen, denn Kritiker und Küchenchef sind wie Zucker und Salz, sie ergänzen sich, sie pflegen Umgang miteinander, sie dienen der gleichen Sache, aber im Grunde mögen sie sich nicht.
    Karotten, Sellerie, Gurken, Tomaten, Paprikaschoten, Radieschen, Blumenkohl und Brokkoli: Er hatte sie der Länge nach geschnitten, zumindest jene, die sich dazu eigneten, das heißt alle außer den zwei letzten, die, in Röschen geschnitten, gleichwohl am Stengel gefaßt werden konnten, etwa so, wie man die Glocke eines Degens ergreift. Dazu ein paar feine Scheiben Schweinebraten, ohne Zutaten, kalt und köstlich. Wir begannen zu tunken.
    Man wird mich nie vom Gedanken abbringen, daß rohes Gemüse an Mayonnaise etwas zutiefst Sexuelles an sich hat. Das harte Gemüse dringt langsam in die sämige Creme ein; es findet nicht, wie bei so manchen kulinarischen Kreationen, ein Prozeß statt, bei dem jedes der beiden Nahrungsmittel ein bißchen von seiner Natur einbüßt, um sich die des anderen anzueignen und, wie das Brot und die Butter, in der Osmose zu einer neuen und wunderbaren Substanz zu werden. Hier bleiben Mayonnaise und Gemüse unverändert sie selbst, sind aber, wie bei einem Geschlechtsakt, selig über ihr Zusammensein. Was das Fleisch betrifft, so gewinnt es trotzdem etwas dabei; seine spröden Fasern zerteilen sich nämlich unter den Zähnen und füllen sich mit der Sauce, so daß das, was man da ohne falsche Scham kaut, ein mit Saucensamt überzogenes Stück Festigkeit ist. Dazu kommt dieser duftige, ebenmäßige Geschmack, denn die Mayonnaise hat keinen Biß, keinerlei Würze, und wie das Wasser überrascht sie den Mund mit ihrer freundlichen Neutralität; und dann die erlesenen Nuancen des Gemüsereigens: unverschämt pikant das Radieschen und der Blumenkohl, wässerig süß die Tomate, zurückhaltend säuerlich der Brokkoli, großzügig mundend die Karotte, mit einem knackigen Anisgeschmack

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