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Die letzte Delikatesse

Die letzte Delikatesse

Titel: Die letzte Delikatesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Muriel Barbery
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der Sellerie … ein Hochgenuß.
     
    Doch im selben Moment, wo ich mich an diese unschickliche Mahlzeit erinnere wie an ein sommerliches Picknick am Waldrand, an einem jener vollkommenen Tage, an dem die Sonne scheint, eine leichte Brise weht und das Klischee vom Glück perfekt ist, überlagert eine neue Erinnerung meine Rückschau, eine plötzliche Erleuchtung, die meinem Gedächtnis die Tiefe der Authentizität verleiht und in meinem Herzen einen Gefühlssturm entfesselt, wie Luftblasen, die an die Wasseroberfläche drängen und, einmal befreit, in einem Konzert von Beifallsrufen platzen. Denn auch meine Mutter, die, wie ich schon sagte, eine klägliche Köchin war, setzte uns, und sogar sehr oft, Mayonnaise vor, eine Mayonnaise jedoch, die sie fertig gekauft hatte, im Supermarkt, im Glas, und für die ich trotz der Beleidigung, die sie für den authentischen Geschmack darstellte, nicht minder eine unbeschreibliche Schwäche hatte. Die Fertigmayonnaise, der das handwerklich schmackhafte Gepräge fehlt, durch das die reine sich auszeichnet, besitzt nämlich eine Besonderheit, die jener abgeht; der beste Koch muß früher oder später die traurige Tatsache anerkennen: Sogar die homogenste und sämigste Zubereitung zersetzt sich sehr rasch ein wenig, zerfällt langsam, oh, nur ganz wenig, aber doch so stark, daß die Konsistenz der Creme durch einen leichten Kontrast beeinträchtigt wird und sie auf mikroskopischer Ebene nicht länger sein kann, was sie am Anfang war: glatt, glatt, absolut glatt, während die Mayonnaise vom Supermarkt gegen alle Klebrigkeit gefeit ist. Sie hat keine Struktur, keine Elemente, keine Teile, und genau das liebte ich so leidenschaftlich, diesen Geschmack nach nichts, diese Materie ohne Kanten, ohne Griffigkeit, um ihr beizukommen, die mit der Fließfähigkeit der löslichen Substanzen über meine Zunge glitt.
     
    Ja, das ist es, das ist es beinahe. Zwischen der Entenbrust nach Pekingart und der Pomade aus dem Glas, zwischen dem Refugium eines Genies und den Regalen des Lebensmittelgeschäfts wähle ich die letzteren, wähle ich den scheußlichen kleinen Supermarkt, wo in öden und gleichförmigen Reihen die köstliche Verführung stand. Der Supermarkt … Seltsam, wie das eine Welle von Emotionen in mir in Bewegung setzt … Vielleicht, ja … vielleicht …

Paul
Rue de Grenelle, Flur
     
     
    Welche Verschwendung.
    Alles hat er zermalmt auf seinem Weg. Alles. Seine Kinder, seine Frau, seine Mätressen, bis hin zu seinem Werk, das er im letzten Moment mit einem Bittgesuch verleugnet, das er selber nicht versteht, das aber einer Verdammung seiner Wissenschaft gleichkommt, einer Widerrufung seiner Ansichten, und das er wie ein Bettler, wie eine zerlumpte Gestalt am Wegrand an uns richtet, jetzt, wo er eines sinnvollen Lebens beraubt, von seinem eigenen Verstehen abgeschnitten ist – unglücklich letztlich, in diesem entscheidenden Moment zu merken, daß er eine Chimäre verfolgt und die falsche Lehre verkündet hat. Ein Gericht … Was glaubst du, verrückter Alter, was glaubst du denn? Daß du in einem wiedergefundenen Geschmack Jahrzehnte von Mißverständnissen tilgen und plötzlich einer Wahrheit gegenüberstehen wirst, die deine nüchterne Hartherzigkeit wiedergutmachen wird? Dabei besaß er alle Waffen, die einen großen Meister ausmachen: eine gewandte Feder, Geist, Chuzpe, eine glänzende Begabung! Seine Prosa … seine Prosa war Nektar, war Ambrosia, eine Hymne an die Sprache, ich war jedesmal überwältigt, und ganz gleich, ob er übers Essen oder über sonst etwas sprach, man täuscht sich, wenn man glaubt, der Gegenstand habe gezählt: die Sprache selbst bestach. Die Fresserei war nur ein Vorwand, vielleicht sogar eine Zuflucht, um dem zu entfliehen, was sein Goldschmiedtalent hätte zutage fördern können: dem exakten Inhalt seiner Gemütsbewegungen, der Härte und dem Leiden, dem Scheitern schließlich … Und statt mit seinem Genie die verschiedenen Gefühle, die sich in ihm regten, für die Nachwelt und für sich selbst auszuloten, verirrte er sich auf Seitenpfaden, überzeugt, das Nebensächliche müsse gesagt werden, nicht das Wesentliche. Welch eine Verschwendung … welch ein Jammer … Ganz beherrscht von seinen kurzlebigen Erfolgen, sah er auch bei mir nicht, was echt war. Sah nicht den auffallenden Kontrast zwischen den Ambitionen des ungestümen jungen Mannes und dem ruhigen Leben einer achtbaren Person, das ich widerwillig führe; nicht meinen hartnäckigen

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