Die letzte Eskorte: Roman
genug eingeschätzt werden. Die französische Mittelmeerflotte auf dem silbernen Tablett!
Trotz der deutlichen Vorteile für Großbritannien machte Hayden sich Sorgen um die Menschen von Toulon – es war zwar Krieg, aber das französische Volk lag ihm dennoch am Herzen. Sollte es der Revolutionsregierung gelingen, die Stadt zurückzuerobern, würde es zu Vergeltungsmaßnahmen kommen, und jeder, auch sein Leibkoch, begriff, wie diese Repressalien aussehen würden.
Hayden und Barthe kehrten aufs Quarterdeck zurück und ließen Wickham auf dem Vordeck, der weiter ins Dunkle spähen sollte.
»Mr Franks, rufen Sie alle Matrosen zusammen«, befahl Hayden, »alle Segel mit Seisings beschlagen, nur die Marssegel nicht, und dann alles klarmachen zum Ankern.«
Die Crew trottete über Deck. Ein Schiff in einen neuen Hafen zu bringen war immer ein interessantes Ereignis, umso mehr, da es sich in diesem Fall um einen französischen Hafen handelte, der in britischem Besitz war – ein Anblick, an dem man sich nicht oft erfreuen konnte.
An Steuerbord war bereits der Große Turm zu erkennen, der über der Hafeneinfahrt thronte. Die wenigen Lichter stammten vermutlich von der Stadt, die nördlich lag. Der Wind blieb zunächst achterlich, drehte dann jedoch und kam vom Land.
»Riechen Sie das?« Barthe sog tief die Luft ein. »Ein alter Geruch von verkohltem Holz und Pulverdampf? Ich wette, die Stadt musste sich einer starken Belagerung erwehren.«
Auch Hayden stieg der stechende Geruch in die Nase – ein leichter Nieselregen verstärkte die Ausdünstungen von verbranntem Holz. Er fühlte mit den Menschen von Toulon. Wenn die Revolutionsarmee die Stadt wieder einnahm, dann wäre Hood nie in der Lage, alle Einwohner rechtzeitig zu evakuieren.
Hayden ließ den Master auf dem Quarterdeck zurück und ging über den Laufsteg Richtung Bug. Obwohl er wusste, dass Wickham die besten Augen in der Dunkelheit hatte, bereitete ihm die Situation allmählich Kopfzerbrechen.
»Wieso schweigen die Belagerungsgeschütze?«, murmelte er vor sich hin, während er über den Laufsteg schritt.
»Schiffe liegen an den Kais vor Anker, Kapitän«, berichtete Wickham, »eine kleine Brigg nicht allzu weit vor uns. Wir werden sie nicht passieren, Sir.«
»Gehen wir an ihrem Heck vorbei, Mr Wickham«, erwiderte Hayden, »und dann weiter in Richtung Stadt, wo unsere eigenen Schiffe vor Anker liegen müssen.« Hayden wandte sich an Gould, der, wie immer, als Wickhams Schatten fungierte. »Mr Gould, würden Sie Mr Barthe ausrichten, Focksegel zu setzen. Wir leiten eine Wende ein, wenn wir hinter den Zweidecker kommen.«
»Aye, Sir«, antwortete Gould eifrig und eilte zum Heck.
Aus der Dunkelheit schallte eine Stimme herüber, die Französisch sprach. »Was für ein Schiff?«, rief jemand von der Brigg.
»Wir sind das Schiff Seiner Majestät Themis«, entgegnete Hayden in derselben Sprache.
Über das stille Wasser hinweg waren Stimmen zu hören, aber die Worte in der Sprache seiner Mutter wurden in der leichten Brise auseinandergerissen und erreichten die Themis in unvollständigen Silben und verkürzten Vokalen. Hayden konnte keines der Worte verstehen.
Mr Barthe kam über den Laufsteg gerannt und brüllte Befehle. Das Verhalten des Masters trug nicht zu Haydens Beruhigung bei. Barthe schien weniger entschlussfreudig als sonst zu sein.
»Was hat das mit diesem Franzmann auf sich ...? Aha.«
Als sich das Heck der Brigg deutlicher aus der Dunkelheit herausschälte, rief Hayden auf Französisch: »Wo liegt das Schiff des englischen Admirals vor Anker? Wo hält sich Lord Hood auf?«
Auf der Brigg hörte man gedämpfte Stimmen. »Sie sind ein englisches Schiff?«, rief jemand. Hayden glaubte, eine Gestalt an der Heckreling erkennen zu können.
»Oui, une frégate anglaise.«
Wieder Diskussionen, unverständlich für Hayden.
»Können Sie verstehen, was die sagen?«, wollte Mr Barthe wissen und versuchte, sein wachsendes Unbehagen zu verbergen.
»Nein, kann ich nicht. Sie etwa, Wickham?«
»Irgendetwas von einem Boot, das zum Admiral geschickt werden soll, Sir. Amiral wird doch wohl Admiral heißen, oder?«
»Luv!«, ertönte es an Bord der Brigg. »Luuv!«
»Ruder herum!«, rief Hayden über das ganze Deck. »Dryden! Ruder herum! Aufkommen jetzt – langsam aufkommen.«
Die Themis gierte ein wenig in dem leichten Wind. Hayden merkte, wie die Männer an Bord den Atem anhielten. Jeder machte kleine, hastige Bewegungen mit der Hand, als könnte
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