Die letzte Eskorte: Roman
ich heute der jungen Dame beigestanden habe.«
»Sicher, und ich fand Ihren Einsatz sehr ehrenhaft«, sagte Hayden, worauf Hawthorne anerkennend nickte.
Griffiths tat dies mit einem Schulterzucken ab. »Auf mich wirkte sie nicht wie die – gewöhnlichen Hafendirnen, und Sie haben ja selbst gesehen, dass ihr eine Hand fehlte ...«
Hayden nickte.
»Als ich noch in der Ausbildung war«, fuhr der Doktor fort, »erlebte ich einen ähnlichen Vorfall. Eines Tages kam eine junge Frau ins Hospital, eine Näherin, und ein fesselnderes Geschöpf kann man sich kaum vorstellen. Sie hatte sich eine Nadel durch den Daumenballen gestochen und den ersten Mittelhandknochen hier unten am Daumen verfehlt.« Er demonstrierte den anderen den Fall an der eigenen Hand. »Der Einstich hatte sich schlimm entzündet. Die Fäulnis breitete sich bereits schnell aus. Nach kurzer Rücksprache mit einem anderen Studenten wurde beschlossen, die Hand zu entfernen, um dadurch den Arm und auch das Leben der jungen Frau zu retten. Der Eingriff verlief erfolgreich, und die zierliche Patientin, kaum älter als zwanzig Jahre, überstand die Amputation ohne großes Wehklagen. Sie können mir glauben, dass ich mir die größte Mühe gab, und unter meiner Nachbetreuung – ich gebe zu, dass ich die junge Frau sehr schön fand – erholte sich meine Patientin gut. Sie kehrte zurück nach Hause, doch zwei Wochen später, als ich mich nach ihrem Befinden erkundigen wollte, erfuhr ich, dass sie ins Wasser gegangen war. Da sie ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten konnte, so erzählte man mir, und keine Familienangehörigen mehr hatte, hatte sie einem Leben in Elend den Tod vorgezogen. Sie können sich nicht vorstellen, Gentlemen, wie viele Nächte ich wach lag und mir Vorwürfe machte, was ich der armen Frau angetan hatte. Mein Lehrer für Anatomie und Chirurgie versicherte mir, dass es keine andere Möglichkeit gegeben habe und dass das Leben der Frau nur durch die Amputation gerettet werden konnte, aber all das bot mir wenig Trost. Während der letzten Jahre hat mein schlechtes Gewissen etwas nachgelassen, aber als ich dann heute diese junge Frau sah, kamen all die Erinnerungen wieder hoch. Mir wurde bewusst, dass sie womöglich in einer ähnlich aussichtslosen Lage war. Sie wissen ja, was ich als Nächstes tat. Ich brauchte eine Weile, um sie dazu zu bewegen, mich an ihrem Schicksal teilhaben zu lassen, aber nachdem ich ihr versichert hatte, dass es mir als Gentleman nur um ihr Wohlergehen ging, willigte sie ein und erzählte mir alles. Ihre Hand wurde von einem Wagenrad zerquetscht, als die Frau von einem Betrunkenen zu Boden gestoßen wurde. Da man die Hand nicht mehr retten konnte, wurde sie von einem hier ansässigen Arzt entfernt – auf erbärmliche Weise. Bis zu jenem Unglückstag war Miss Brentwood, denn so heißt die Arme, bei dem Schiffszimmermann im Dock der Navy als Mädchen für alles angestellt. Jener Mann hatte sich ihr schon mehrfach auf ungebührliche Weise genähert, doch Miss Brentwood hatte seine Avancen abgewehrt. Nachdem sie ihre Hand verloren hatte und ihr Arbeitgeber wusste, dass sie nirgends anders eine Anstellung bekommen würde, setzte er sie unter Druck und ließ sie wissen, sie müsse seine Aufmerksamkeit erwidern, denn sonst lande sie auf der Straße. Noch am selben Tag verließ sie ihre Anstellung. Aber ein Mädchen für alles mit nur einer Hand hat keine Aussichten auf eine neue Stelle, und obendrein sind Miss Brentwoods Ersparnisse bescheiden. Heute wurden wir Zeuge, wohin dies führte – sie hatte beschlossen, sich selbst zu erniedrigen, anstatt den Hungertod zu sterben, doch letzten Endes fand sie nicht den Mut. Als ich sie ansprach, hatte sie bereits die Absicht, zu sterben.«
Griffiths goss sich etwas Kaffee ein. Nach dieser bereitwilligen Beichte wirkte er merkwürdig zerknirscht.
»Ich denke, ich konnte ihr bei einer Familie, die ich über einen Bekannten kenne, zu einer neuen Anstellung verhelfen. Natürlich würde es ihr in England besser gehen, und sobald es mir möglich ist, werde ich dafür sorgen, dass sie dorthin gelangt.«
»Ich wünsche Ihnen, dass Ihre guten Taten nicht unbelohnt bleiben.« Tatsächlich hoffte Hayden, dass Griffiths nicht einer gerissenen Frau zum Opfer gefallen war, die sich reiner gab, als sie war.
Hawthorne sagte nichts.
»Mir ist bewusst, dass mein Verhalten ungewöhnlich für einen Fremden war, aber ich konnte nicht zulassen, dass eine zweite Frau ein solches Schicksal
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