Die letzte Eskorte: Roman
Rücken zu und öffnete das zweite Schreiben. Die Wirkung des Briefs war nicht zu übersehen. Mit hängenden Schultern stand er da, ließ die Arme sinken. Der Brief flatterte in der Brise. Dann steckte er die Schreiben hastig in seine Manteltasche, rieb sich mit einer Hand abwesend die Stirn und begab sich wieder schweigend zur Gangway, um zu sehen, wie der Anker aufgekattet wurde. Seine Schnallenschuhe machten keine Geräusche.
»Offensichtlich wurde er nicht zum Ruhm berufen«, wisperte Hawthorne.
»Nein. Davies hat geschickt das Kommando über die Themis abgelehnt und seinem Ersten Leutnant dasselbe Schicksal zuteil werden lassen.«
»Bewundernswert, seine Schläue«, merkte Hawthorne an.
»Nicht wahr?«
Hayden trat ein paar Schritte vor und sah seiner Crew bei der Arbeit zu. Die neuen Männer passten sich problemlos an, und Franks konnte niemanden finden, den er hätte ermahnen können. Daher humpelte er missmutig an Deck herum, fuchtelte mit dem Rohrstock herum und musterte die Männer mit bedrohlichen Blicken.
Weiter vorn erläuterte Wickham den neuen Midshipmen, was man an Bord zu wissen hatte, und zeigte mal hierhin, mal dorthin. Besonders der junge Gould achtete genau auf jede Silbe und jede Geste von Wickham. Archer gab Mr Barthe und Franks Befehle, die in scharfem Ton an die Männer weitergegeben wurden. Der schlafsüchtige Leutnant wirkte erstaunlich gut aufgelegt und selbstsicher.
Damit nicht alle dreißig Schiffe zugleich die Anker einholten, hatte Pool befohlen, dass zunächst nur die zehn leewärtigen Schiffe Segel setzen sollten. Unmittelbar danach hatten die nächsten zehn zu folgen, dann die letzten elf. Die Schiffe drängten sich in Torbay, und seine Segelformation würde der Konvoi viel leichter draußen im Kanal finden – die Frachtschiffe in einem groben Rechteck, flankiert von den Eskorten.
Mr Barthe gesellte sich zu ihm, die Sprechtrompete unterm Arm.
»Meinen Glückwunsch an Sie und an Mr Franks.« Hayden nickte dem Master zu. »Die Männer scheinen ihr Handwerk zu verstehen.«
»Sie werden noch eine Menge lernen müssen«, erwiderte Barthe, »aber wir werden eine Mannschaft aus ihnen machen. Wie so viele, die noch nicht in der Navy Seiner Majestät gedient haben, zeigen sie sich begeistert, sobald die Geschützübungen beginnen. Aber einen Schuss hat noch keiner von denen abgefeuert.«
»Ich denke, das wird eine ausgezeichnete Crew, Mr Barthe. Davon bin ich wirklich überzeugt. Uns fehlen vielleicht ein Leutnant und ein oder zwei Midshipmen, aber wir werden es schaffen. Ich glaube, wir sollten Wickham zum stellvertretenden Dritten Leutnant befördern. Was meinen Sie, wäre er der neuen Aufgabe gewachsen?«
»Er ist schon tüchtiger als manch ein Leutnant, mit dem ich gesegelt bin.« Barthe schaute nicht in Saint-Denis’ Richtung, aber Hayden verstand die Anspielung auch so. »Aber er ist eben erst sechzehn geworden. Und dadurch eigentlich noch drei Jahre zu jung für so eine verantwortungsvolle Aufgabe.«
»Wenn ich einen Midshipman von achtzehn oder neunzehn Jahren hätte, würde ich ihn zum Dritten ernennen, aber uns mangelt es nun mal an Leuten – ein Master and Commander ist Kapitän, ein Dritter Leutnant fehlt, zu wenig Midshipmen. Zudem ein Schiff, das kein Kapitän haben will – mit einer Crew, die keiner haben will. Was soll ich also tun?«
Barthe musste lachen. »Wenn Sie die Sache so darstellen, bleibt mir keine andere Wahl. Also nehmen wir Mr Wickham als Dritten Leutnant.«
»Ich bin froh, dass Sie mir zustimmen.«
Die Segel wurden so sicher und schnell gesetzt, dass Hayden insgeheim frohlockte. Die Fregatte nahm Fahrt auf und hielt auf den offenen Kanal zu. Da die Frachtschiffe in Formation fahren mussten, vergeudete man viel von dem guten Wind, doch letzten Endes war der Konvoi auf Kurs und steuerte den fernen Ozean an. Schon bald reffte man Segel, um sich auf das langsamste Frachtschiff einzustellen – dieses Schiff gab fortan die Geschwindigkeit für die Fahrt vor, ein sehr langsames Vorankommen, obwohl Pool über Signale durchgeben ließ, unter vollem Zeug zu fahren.
Hayden ließ Archer als wachhabenden Offizier an Deck zurück und begab sich in seine Kajüte. Als er an der Offiziersmesse vorbeikam, hörte er Lachen und Stimmen und stellte sich vor, wie Hawthorne für alle Wein einschenkte. Seine Kajüte kam ihm leer und von einer feuchten Kühle durchzogen vor, als er über die Schwelle trat. Einen Moment lang stand er in dem großen Raum, der sehr
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