Die letzte Eskorte: Roman
im Mittelpunkt der Gespräche stand. Der Schurke Hart hatte sich stets von Spitzeln berichten lassen, was sich die Offiziere am Tisch erzählten, aber das wollte Hayden nicht. Besser, man wusste nicht, was die anderen über einen redeten.
Der Wind drehte langsam südwärts, blieb dann auf Südwest, worauf die Wachen ein Auge auf Schot und Brassen haben mussten. Unaufhaltsam hielt das Schiff auf Frankreich zu. Vielleicht zwei Stunden vor Morgengrauen zog der Schlaf Hayden wieder in die Schwingkoje, doch schon bei den ersten Farbspielen am östlichen Horizont war er wieder oben an Deck.
Inzwischen war Wickham der wachhabende Offizier, und die Midshipmen und Mr Barthe bereiteten sich auf die morgendliche Kursüberprüfung vor, sobald die Sonne etwas höher stieg. Die Gewitterfront war in der Nacht über sie hinweggezogen und hatte dem Schiff einen leichten Westwind gebracht. Zerrissene Wolken bedeckten den Himmel, und der Morgen blieb kühl, der Wind fuhr in Haydens wollenen Mantel.
Am östlichen Himmel erblühten die zuvor konturenlosen, schiefergrauen Wolkenbänder zu zartem Rot. Die Sonne stieg in die Dunstschleier, und der Tag breitete sich über Himmel und See aus.
»Ausguck!«, rief Hayden hinauf. »Können Sie unsere Schiffe zählen?«
Hayden erspähte den Mann auf der Kreuzmarsrah. Langsam suchte er die See von Ost nach West mit dem Fernrohr ab. Schließlich ließ der Mann das Glas sinken, suchte Halt an den Toppnants und schaute nach unten zum Deck.
»Ich bin mir nicht sicher, Kapitän. Einmal habe ich neunundzwanzig gezählt, dann wieder dreißig.«
»Verflucht«, murrte Hayden und hätte sich fast zu Harts Fluch »Der Teufel soll mich holen« hinreißen lassen.
»Ich entere auf«, erklärte sich Wickham bereit und war schon auf der Reling. Dann erklomm er geschickt die Wanten und schob sich schließlich bis zum Ende der Rah, damit das Segel ihm nicht die Sicht raubte. Augenblicke später ließ er das Glas sinken und rief nach unten.
»Ich komme auf neunundzwanzig Transportschiffe, Kapitän. All unsere Geleitschiffe sind auf Position, aber McIntosh hält auf uns zu.«
»Und in unserem Kielwasser sehen Sie kein Schiff, Mr Wickham? Das nach Lee abgedriftet ist?«
»Nein, Sir, aber Nebel verschleiert den Horizont.«
Hayden entfuhr ein weiterer Fluch. Sobald die Sonne ein wenig höher stieg, könnte man das vermisste Schiff vermutlich sehen, aber jetzt schien es so, als sei in der Nacht doch eine Kanone abgefeuert worden. Vielleicht ein Hilferuf.
Bald darauf lief McIntosh längsseits in Rufweite vorbei.
»Wir haben ein Frachtschiff verloren, Kapitän Hayden.«
»Das dachten wir uns schon. Wie heißt es?«
»Die Hartlepool , Sir.«
»Ich wusste, dass diese kleine Nussschale in Schwierigkeiten geraten würde«, beklagte sich Mr Barthe. »Sie taugt nicht für die hohe See.«
Hayden ignorierte dieses Schimpfen. »Hat irgendjemand ein Signal von ihr erhalten? Einen Kanonenschuss, so gegen zwei Glasen?«
»Nein, Kapitän. Soll ich zurücksegeln und nach ihr Ausschau halten?«
»Ja, tun Sie das. Uns bleibt keine andere Wahl. Können Sie meinen Schiffsarzt mit zur Agnus nehmen? Wir fieren ein Boot ab.«
»Gern, Kapitän Hayden.«
Hayden winkte einen der Midshipmen heran. »Sagen Sie Dr. Griffiths Bescheid.«
Der Junge nickte und eilte davon.
Hayden hatte es immer schon seltsam gefunden, dass der Bootssteuerer nicht der Deckoffizier war, der für die Boote verantwortlich war. Diese Aufgabe fiel dem Schiffszimmermann zu. Chettle und Franks waren inzwischen damit beschäftigt, ein kleines Beiboot von dem schwankenden Schiff in die wogende See hinabzulassen. Es ließ sich nicht vermeiden, dass einige unerfahrene Männer an dieser Aktion beteiligt waren, die von den Maaten angelernt werden mussten. Hayden vermisste einen Mann wie Aldrich. Mit großer Geduld hätte er aus diesen verwirrten Landratten tüchtige Seeleute gemacht. Jederzeit hätte Hayden zehn Mann der gegenwärtigen Besatzung gegen einen zweiten Aldrich eingetauscht.
In diesem Moment stieg Griffiths an Deck, kam über den Laufsteg und stellte sich auf das Schwanken ein, in der einen Hand den Hut, in der anderen einen kleinen Lederbeutel. Griffiths’ Gesicht war blass und verkniffen, und für die unruhige See hatte er nur einen Blick voller Feindseligkeit und Schrecken übrig.
»Sie können immer noch Ariss schicken, Doktor«, bot Hayden an.
»Nein, es ist besser, ich gehe selbst.« Der Schiffsarzt sah, wie das Boot, jetzt vom
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