Die letzte Eskorte: Roman
»Einige der Männer sagen, Sie hätten sich bekreuzigt, als sie all die toten Franzosen auf dem Wasser treiben sahen, Sir – wie ein Papist.«
»Ich bin davon überzeugt, dass ich so etwas nicht getan habe.«
»Und ich bin sicher, dass Sie recht haben, Kapitän, aber alle waren benommen und hatten den Verstand nicht beieinander, daher kann denen keiner widersprechen. Die Männer vermuten, Sie hätten mehr Mitgefühl mit den toten Franzosen als mit unseren eigenen Verwundeten. Außerdem sagen sie, Sie hätten umkehren müssen, um nach den Seesoldaten Ausschau zu halten, die von der Mars gefegt wurden.«
»Dieser elende Kirchenmann soll zur Hölle fahren!«, schimpfte Hayden. »Sie alle wissen, dass wir keinen der Seesoldaten lebend gefunden hätten. Wäre ich über Bord gegangen, hätte ich in dieser rauen See nicht überlebt, und ich bin ein guter Schwimmer. Außerdem hatte sich Bradley der schweren Fregatte zu erwehren. Wir konnten dort mehr Männern das Leben retten als den paar Seesoldaten im Wasser.«
»Keiner von uns stellt auch nur eine Ihrer Entscheidungen infrage, Sir«, versicherte Wickham ihm. »Ich gebe nur wieder, was die Matrosen sich erzählen.«
»Gewiss, und sehen Sie mir meinen Wutausbruch nach. Wissen Sie, als die Meuterer gehängt wurden, dachte ich, es gäbe fortan keine Schwierigkeiten mit dieser Besatzung.«
»Es sind eine Menge neue Leute an Bord, Kapitän«, sagte Wickham, »und ein Mann wie Worthing – ich glaube fast, die Crew fürchtet sich ein wenig vor ihm. Niemand will sich bei ihm unbeliebt machen.«
»Und ich gehöre bestimmt zu denjenigen, die sich längst bei ihm unbeliebt gemacht haben, wie? Wer sind diese Männer, mit denen Worthing sich – angefreundet hat?«
Hier wuchs sich Wickhams Zurückhaltung zu einer Weigerung aus. Kein Seemann wollte sich nachsagen lassen, andere zu verpfeifen. Hayden war im Begriff zu sagen: » Sie sind jetzt ein Leutnant, Mr Wickham – also keine Solidarität mehr unter Schuljungen. Wer sind diese Männer?« Doch stattdessen wartete er ab, da er darauf baute, dass Wickham ihn nicht enttäuschen würde.
»Weeks, Sir, und Kitchen ...«
»Chettles Maat?«
»Aye, Sir«, erwiderte Wickham.
»Er ist schrecklich religiös, Sir«, fügte Madison hinzu.
»Also ein ganz Gottesfürchtiger.«
»Bracegirdle, Elliot und Stephens.«
Hayden war überrascht, dass einige Namen nicht auftauchten – er hatte mit anderen Unruhestiftern gerechnet. »Keine allzu lange Liste. Bracegirdle und Stephens sind neu an Bord, habe ich recht?«
»In der Tat, Sir, aber Stephens wuchs in den Fischerorten des Südens auf und diente dann auf einem Kauffahrteischiff. Er ist sehr beliebt bei den anderen, Kapitän Hayden.«
»Nun, ihm droht die Peitsche, wenn er versucht, meine Midshipmen zu untergraben. Ich danke Ihnen, meine Herren. Sie können sich dann wieder an die Arbeit machen. Ich werde mich der Angelegenheit annehmen.«
Kurz darauf war Hayden wieder allein in seiner kalten Kajüte und sah sehnsüchtig auf seine Schwingkoje, die sein Diener ihm aufgehängt hatte. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es inzwischen zu spät war, Worthing noch an diesem Abend zur Rede zu stellen. Morgen wäre es früh genug. Er fragte sich, ob er nicht an Deck gehen müsse, um nach der Wache zu sehen – Gould hatte Dienst –, aber stattdessen legte er sich in seine Koje, erschöpft und müde vom Essen und dem Wein. Am kommenden Morgen wollte er sich um alles kümmern. Das wäre noch früh genug.
Ein Geräusch aus großer Ferne – ein tiefes Dröhnen –, so schwach, dass Hayden es kaum wahrnahm. Es war nur ein weiteres Element in seinem verworrenen Traum. Plötzlich fuhr Hayden in seiner Schwingkoje hoch und lauschte, doch er hörte bloß die gewöhnlichen Laute eines Schiffes auf See, allerdings schien der Wind aufzufrischen. Er legte sich wieder hin und ließ sich von den schwingenden Bewegungen seiner Koje sanft in den Schlaf wiegen. Erneut holte ihn ein dumpfer Knall aus der Tiefe seines Traumes.
»Donner«, murmelte er vor sich hin und ließ sich abermals von seiner Schläfrigkeit übermannen. Oder war das doch ein Schuss gewesen? Wieder setzte er sich auf, achtete auf seinen Atem und lauschte. Plötzlich hörte er schnelle Schritte aus Richtung des Niedergangs vor seiner Kajüte. Noch ehe der Wachsoldat klopfen konnte, hatte sich Hayden schon aus seiner Koje geschwungen und zog sich an. Beinahe hätte er in seiner Eile das Gleichgewicht verloren.
»Augenblick!«,
Weitere Kostenlose Bücher