Die letzte Eskorte: Roman
kämpfte innerlich gegen die übermächtige Furcht an, den kalten Hauch des Todes gespürt zu haben.
Als sich sein Atem wieder etwas beruhigt hatte, vernahm Hayden ein leises Geräusch – ein Niesen, dann ein Schluchzen. Vorsichtig schlich er weiter über das Batteriedeck, bis er im Schatten eines großen Geschützes einen der Schiffsjungen erblickte, der mit angezogenen Knien am Boden hockte und den Kopf auf die verschränkten Arme gestützt hatte.
»Mick?«, fragte Hayden leise.
Der Junge erschrak, schaute voller Angst auf und nieste dreimal – ein erbärmlicher Laut. Dann weinte er wie das jämmerlichste Geschöpf auf Gottes Erdboden und verbarg wieder sein Gesicht.
Hayden ging bei dem Jungen in die Hocke und beobachtete ihn einen Moment lang. Da er selbst noch nicht Vater war, verunsicherten ihn Situationen mit Kindern ein wenig.
»Was ist denn los?«, fragte er dann schließlich. »Hat dich jemand verprügelt?«
Der Junge schüttelte den Kopf, hob das Gesicht aber nicht mehr von dem kleinen Geviert aus Armen und schmalen Knien.
»Ich bin der Kommandant dieses Schiffes, Mick, und wenn ich dir eine Frage stelle, dann hast du gefälligst zu antworten. Ist dir das klar?«
Der Haarschopf wippte, als der Junge nickte.
»Was ist dann also hier los?«
Nur mit Mühe konnte der Junge sein Weinen kontrollieren, hob den Kopf ein Stück weit und sah Hayden durch Tränen hindurch an. Sein Gesicht war rot angelaufen. »Ich glaub – ich hab das Fieber, Sir.« Wieder verbarg er das Gesicht und heulte weiter. Seine kleinen Schultern zuckten unter den Schluchzern.
Etwas unbeholfen streckte Hayden eine Hand nach dem Jungen aus und streichelte ihm über die Schulter. Er ließ ihm noch etwas Zeit, sich zu beruhigen.
»Hast du Husten?«, fragte er und bemühte sich, möglichst aufmunternd zu klingen.
»Nein, Sir, aber ich muss dauernd niesen.«
»Aha. Nun, Mr Ariss wird nach dir sehen, aber ich glaube eher, dass du dich einfach erkältet hast. Seit Plymouth höre ich solche Klagen. Einer nach dem anderen war erkältet. Dein Kamerad David war vor zehn Tagen krank, dessen Kamerad Paul hat sich eben erst davon erholt. Daher denke ich, dass dir die Influenza erspart bleibt. Lass uns hinuntergehen zu Mr Ariss, damit er meine Vermutung bestätigen kann.« Hayden klopfte ihm auf die Schulter. »Also los.«
Er griff nach der zarten Hand des Jungen und zog ihn vorsichtig auf die Füße. Doch Mick schaute nicht zu ihm auf, wischte sich die Nase mit einem speckigen Ärmel und folgte Hayden gehorsam. Hayden machte sich derweil bewusst, wie beängstigend so eine Situation für ein Kind sein musste – er selbst hatte Augenblicke zuvor unter dem Eindruck des Quarantäneverschlags gelitten. Wie beängstigend doch das Leben sein konnte!
Kurz darauf waren sie über die Leiter auf das Unterdeck gelangt, worauf Hayden den Gehilfen des Schiffsarztes bat, kurz den Pferch zu verlassen, weil er dem Jungen den Anblick all der Siechen ersparen wollte. Auch Ariss war der Meinung, dass sich der Junge nicht die Grippe zugezogen hatte, die er als »unseren neuen Freund«, bezeichnete, und befahl Mick, sich in seiner Hängematte auszuruhen.
Hayden kletterte nach oben in seine Kajüte und dachte, wie schnell Männer doch in Zeiten großer Not zu Kindern wurden.
Gegen sechs Glasen hatte sich der Wind weitgehend gelegt und strich nur noch als Brise durch die Marssegel. Hayden gab den Befehl, die Themis wieder leewärts an den Konvoi zu bringen.
»Glauben Sie, wir sind weit genug entfernt, um unsere Signalkanone abzufeuern, Sir?«, fragte Archer. Er schien weder eingeschüchtert noch zufrieden mit seiner neuen Aufgabe als stellvertretender Erster Leutnant zu sein, ganz so, als ginge es ihn eigentlich nichts an.
Die Offiziere hatten sich alle auf dem Quarterdeck versammelt und blickten hinaus in die Nacht. Die Angst, plötzlich könnte der Vierundsiebziger wie aus dem Nichts aus der Dunkelheit hervorbrechen, haftete all ihren Überlegungen an, aber bislang hatte ein solches Unheil den Konvoi nicht befallen.
»Sieben Glasen wird früh genug sein«, antwortete Hayden. »Ich möchte möglichst weit von unserem Konvoi entfernt sein, damit der Feind glaubt, uns könne niemand zu Hilfe eilen. Können Sie die Syren ausmachen, Mr Wickham?«
»Eben dachte ich noch, ich hätte sie gesehen, Sir«, antwortete der stellvertretende Leutnant von der Reling aus, »aber in der Nacht ist das schwer einzuschätzen.«
Coles Schiff lauerte irgendwo an Steuerbord
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